Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens
Schildkröten war also nicht nur lang, es machte ihnen auch noch Spaß. Mehr Gründe kann es eigentlich gar nicht mehr geben, um ihnen nachzueifern. Doch ist das überhaupt möglich? Kann jemand, der jahrzehntelang planlos wie ein Flummi durchs Leben geprellt ist, überhaupt noch auf den geraden Weg der disziplinierten Methusalem-Anwärter wechseln?
7. Kann man Langlebigkeit lernen?
Der Missmutige bleibt missmutig, der Draufgänger mutig und der Angsthase feige. Schon Arthur Schopenhauer stellte kategorisch fest: »Der Charakter eines Menschen ist angeboren und unveränderlich.« An dieser Einstellung halten viele Menschen und sogar viele Psychologen bis heute fest. Demnach, so der Tenor, sei die Entwicklung unserer Persönlichkeit nach den »wilden jungen Jahren«, wenn sich erst einmal alles »gesetzt« hat, abgeschlossen, und danach käme es nicht mehr zu wirklich einschneidenden Veränderungen. Was für unser Thema bedeuten würde, dass mit dem Zeitpunkt, wenn sich unser Charakter ausgebildet hat, auch festgelegt ist, wie alt wir werden – und der unstrukturierte und undisziplinierte Chaot unweigerlich in sein frühes Ende hineinrennt. Was natürlich desillusionierend für ihn klingen muss. Doch er sollte sich nicht entmutigen lassen. Denn aktuelle Studien zeigen, dass unsere Persönlichkeit nicht unwiderruflich in den Genen festgelegt ist, sondern sich durchaus wandeln kann. Allerdings erfordert dies Anstrengung!
Auch die Persönlichkeit kann sich ändern
Ein Team unter Jule Specht von der Universität Leipzig analysierte die Daten des sogenannten sozioökonomischen Panels, mit dem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung nicht nur die sozialen und gesellschaftlichen Umstände, sondern auch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale von knapp 15.000 Bundesbürgern erfasst. Das Besondere an dieser Interviewaktion ist, dass sie regelmäßig wiederholt
wird, sodass man neben einer Momentaufnahme auch eine Entwicklung verfolgen kann. Man kann also diagnostizieren, wie sich die Persönlichkeiten im Laufe eines Menschenlebens verändern.
Dabei zeigte sich, dass gerade die Gewissenhaftigkeit einen deutlichen Wandel erfährt. So geben jüngere Personen häufiger zu, ihre Angelegenheiten weniger gründlich zu erledigen, doch sobald sie ins Arbeitsleben eintreten, ändert sich das. »Man geht dann jeden Tag zur Arbeit, muss sein Geld verdienen, sich um seinen Lebensunterhalt kümmern«, erklärt Specht, und das fördere in dem Menschen eine Gewissenhaftigkeit, die sich auch auf andere Lebensbereiche ausdehnt und ihn insgesamt verantwortungsbewusster macht. Was für unseren Zusammenhang bedeutet, dass mit dem Eintritt ins Berufsleben die meisten Menschen einen Weg betreten, der sie in ein hohes Alter führt. Doch ein Automatismus ist das nicht, gerade weil der Charakter so wandelbar ist.
So konnte Spechts Team feststellen, dass sozial verträgliche Menschen überdurchschnittlich oft arbeitslos werden. Möglicherweise deshalb, weil sie nicht über die notwendige Ellbogenmentalität verfügen, um sich im Job behaupten zu können. Möglicherweise aber auch deshalb, weil sie aufgrund ihrer hohen Sozialkompetenz eher im Sozialbereich beschäftigt sind, in dem traditionell eine höhere Arbeitslosigkeit herrscht. Für unseren Kontext bedeutet aber der Zusammenhang von Sozialverträglichkeit und Beschäftigungsgrad in jedem Fall, dass sozial verträgliche Menschen zwar nicht so einsam sind, dafür aber auch weniger Gewissenhaftigkeit ausbilden und dadurch jünger sterben als andere. Partymäuse und andere gesellige Menschen sterben also früher, die Stinkstiefel hingegen können sich auf einen einsamen, aber langen Lebensabend freuen.
Doch auch das ist kein Automatismus. Denn mit der Rente geht es bei vielen Menschen in punkto Gewissenhaftigkeit wieder bergab. Was für Psychologin Specht eigentlich paradox klingt, weil man ja meinen könnte, dass ältere Menschen
auf ihrem hohen Disziplinlevel bleiben. Andererseits fehlen nach der Rente auch die üblichen Anforderungen der Arbeitswelt, sodass die Verführung groß ist, es mit der Gewissenhaftigkeit nicht mehr so genau zu nehmen. Man könne sich dann, erläutert Specht, eine freie Zeiteinteilung erlauben, »vielleicht einmal das Mittagessen um zwei Stunden verschieben und einkaufen gehen, wenn man Hunger hat.« Mit diesem Schlendrianeinzug aber würde es mit der Lebenserwartung wieder nach unten gehen.
Wie gesagt: Man sollte die Daten des sozioökonomischen Panels nicht
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