Lanzarote
der vorangegangene Roman „Elementarteilchen“, mit dem Houellebecq 1998 berühmt wurde. Seinen trockenen Ton hat der Autor allerdings ebenso beibehalten wie seine Neigung zu Exkursen - sei es eine kurze Geschichte Thailands oder ein Bericht aus der Tourismusbranche. Insbesondere die sich wiederholenden Sex-Szenen beschreibt jedes Pornoheft fantasievoller.
„Plattform“ erzählt die Geschichte von Michel, dem eher unattraktiven, unverheirateten vierzigjährigen Beamten aus dem Pariser Kulturministerium, der dort für die Subventionierung zeitgenössischer Kunst zuständig ist. Auf einer Thailand-Reise besucht er nicht nur zusammen mit sportlichen Australiern und unansehnlichen Deutschen Bordelle, sondern lernt in seiner Reisegruppe auch eine junge, erfolgreiche Frau aus der Tourismusbranche kennen. Zusammen mit deren Chef entwickelt Michel das Konzept der Feriendörfer „Eldorador Aphrodite“ - „wo die Leute vögeln können. Denn wenn sie kein kleines Abenteuer haben, wechseln sie den Reiseveranstalter. „ Der Erfolg gibt ihm Recht: Dank der Zusammenarbeit mit dem aufgeschlossenen Chef der TUI besteht die Kundschaft übrigens zu achtzig Prozent aus Deutschen. Michel Houellebecq, dem die „FAZ“ 1999 den Aufmacher ihrer Buchmessenbeilage widmete, verspricht sich offenbar viele deutsche Leser. Die Übersetzungsrechte hat Dumont bereits für viel Geld erworben.
Die Zukunft, so Michel, gehöre dem Sexualtourismus. Aber das Projekt scheitert dennoch: Ein islamistisches Attentat zerstört das Aphrodite-Dorf in Thailand, ruiniert das Image und kostet Michels Freundin das Leben. Das ist bedauerlich: Die Liebesgeschichte mit Valérie war der große Fortschritt gegenüber „Elementarteilchen“ - der Erfolg mag den Autor milder gestimmt haben - und machte den Helden fast sympathisch. Michel zieht sich nach Pattaya zurück und wartet auf den Tod: Seine Versuche mit käuflicher wie mit wahrer Liebe sind gescheitert.
Ein Verlag klagt Wie die beiden vorangegangenen Romane Houellebecqs ist „Plattform“ die Beschreibung einer apokalyptischen Gesellschaft, ein Hassausbruch gegenüber (Reise-) Gruppen und vor allem eine grimmige Soziologie des sexuellen Elends - in den kapitalistischen Sozietäten des Westens. Dass dieses Elend in Bangkok oder Havanna noch größer ist, kommt Michel nicht in den Sinn. Und deswegen sei das Buch, so Houellebecqs Verleger, ein „komischer und erschreckender Blick auf den pornografschen Postkolonialismus“. Das Phänomen erscheint als Produkt aus „sexueller Befreiung“ und Aufschwung des Massentourismus. Beides wird der Kulturrevolution von 1968 angelastet: Sie hinterließ frustrierte Männer und degradierte John F. Kennedys Slogan von der New-Frontier-Politik zum Namen eines Reisebüros: „Nouvelles Frontières“ wurde in Frankreich Marktführer.
Mit „Nouvelles Frontières“ fährt der Michel des Romans nach Thailand und wirft dort umgehend den wohlmeinenden Alternativ-Reiseführer „Guide du routard“ in den Müll: Die Verfasser, diese „protestantischen humanitären Arschlöcher“, wollten ihm mit ihren Warnungen vor Sextourismus „auch noch die letzte kleine Freude“ verderben. Der Verleger des „Guide du routard“, der in Thailand ein Heim für missbrauchte Kinder fnanziert, reichte am Freitag Klage gegen Autor und Verlag ein. Ein Gerichtmag entscheiden, ob „Plattform“ nun ein Plädoyer für oder gegen jenen „pornografschen Postkolonialismus“ ist. Der Prozess kann Houellebecq nur recht sein: Denn während Michel im sexuellen Wettbewerb unterliegt, beherrscht Houellebecq die Regeln des Wettbewerbs auf dem Buchmarkt ganz virtuos.
erschienen in: Berliner Zeitung 30.08.2001
Das Ich als Bankier der Sexualität
von Harald Jähner
Auch in seinem Essayband „Die Welt als Supermarkt“ duldet Michel Hou ellebecq keinen Widerspruch
Kein Zweifel, Michel Houellebecq hat, was immer man von ihm halten mag, den Nerv der Zeit getroffen. Seine Romane „Die Ausweitung der Kampfzone“ und „Elementarteilchen“ wühlen eine große Leserschaft auf. „Elementarteilchen“, mehr eine Anklageschrift zum sexuellen Elend der modernen Welt als ein Roman, hat Debatten ausgelöst wie schon lange kein literarisches Werk mehr („Berliner Zeitung“ vom 11.9.). Zu seinen Lesungen strömen jeweils Hunderte, im Internet hat eine Art HouellebecqFanclub ein Diskussionsforum eröffnet, wo sich Leser dafür bedanken, dass ihnen die Welt eklig geworden ist. Dort kann man auch
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