Lanzarote
Vorbild genannt, der menschliche Schicksale vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen schildert.
Schwer zu sagen, ob die Diskussion über sein Buch Houellebecq über den Kopf gewachsen ist oder ob er die Rolle des Enfant terrible geniesst. Sich allen klaren Aussagen zu entziehen und auf literarische Freiheit zu pochen wirkt wenig glaubwürdig in einem Land, in dem es auch für Staatschefs zum guten Ton gehört, literarisch tätig zu sein, und sich Philosophen gerne zu aktuellen politischen Fragen äussern. Die Membran zwischen Literatur und Politik ist in Frankreich durchlässiger als anderswo. Houellebecq kümmert das nicht.
Haben Sie damit gerechnet, dass Ihr Roman solche Kontroversen auslösen würde?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube auch, dass diese Diskussionen nur in einem engen intellektuellen Zirkel ablaufen. Unter Literaturkritikern und Journalisten. Den Lesern meines Romans ist das alles egal.
Ihnen muss doch klar gewesen sein, dass viele Leute die Vision einer ge klonten Menschheit beängstigend fnden und Ihre geradezu paradiesische Beschreibung empörend.
Ich fnde Leute absurd, die Angst vor gentechnisch manipulierten Lebensmitteln haben. Das sind Dummköpfe. Was wissen sie davon, was natürliche Nahrungsmittel anrichten können? Ausserdem ist das, was ich beschreibe, nicht meine politische Utopie. So etwas habe ich gar nicht. Diesen Science- fction-Teil des Romans hätte man genausogut weglassen können.
Wieso haben Sie ihn dann geschrieben?
Weil er mir gefällt. Es gibt da sehr gelungene Passagen. Aber diese Zukunftsvision ist nicht das eigentliche Thema des Buchs.
Was dann?
Die Einsamkeit vielleicht. Und die Versuche, ihr zu entkommen. Ja, denn das gelingt ja ab und zu. Und dann ist da noch die Frage, inwiefern man seinem persönlichen Schicksal entrinnen kann, der Konditionierung durch die frühe Kindheit. Im Roman gelingt es doch fast. Immerhin.
Sie geben eine vernichtende Beschreibung der 68er Generation.
Ja, aber muss man das verallgemeinern? Ich weiss nicht. Ich beschreibe das Schicksal von zwei Männern, die im ausgehenden 20. Jahrhundert in unserer nordwestlichen Zivilisation leben. Weiter nichts. Nicht nur ihre Herkunft und ihre Kindheit sind wichtig, sondern auch die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen sie leben. Die Menschen stehen zueinander in immer heftigerer Konkurrenz, ein Ergebnis des kapitalistischen Wirtschaftssystems, des herrschenden Liberalismus. Auch die Tatsache, dass Religion und Glaube immer weiter verschwinden, macht das Leben in unserer Zivilisation immer schwieriger.
Einige Kritiker haben Ihnen vorgeworfen, die Menschen und das Leben zu hassen.
Das Leben ist unerträglich. Im Grunde weiss das auch jeder, und jeder hofft in manchen Momenten, das Leben sei bald vorbei. Das vermittelt zu bekommen ist wohl nicht sehr angenehm, aber ich will die Wahrheit schreiben. Mit Hass hat das nichts zu tun. Ich glaube auch nicht, dass der Mensch gut ist, denn er ist ein Stück weit Natur, und die ist grausam- fressen und gefressen werden. Trotzdem gibt es Moral, und es gibt auch glückliche Momente.
Sie wehren sich also dagegen, dass Ihr Roman politisch interpretiert wird, Ihre Gesellschaftsanalyse ernst genommen wird?
Jedenfalls bin ich kein engagierter Schriftsteller, wie etwa Sartre das war. Ich gehe auch nicht wählen. Wo käme ich denn hin, wenn ich zu jedem gesellschaftlichen Problem meinen Senf geben müsste? Da müsste ich ja zu allem eine Meinung haben. Ich habe mehr Talent, den Finger auf die wunden Punkte zu legen, als Heilmittel ausfndig zu machen. Was mit Literatur auch nichts zu tun hätte - Literatur ist für mich Beschreiben. Und das allein ist schon eine sehr aufreibende Aufgabe.
Wieso kaufen die Leute Ihre Bücher?
Weil es sehr viele Menschen gibt, die einsam sind und auf der Suche nach ein wenig Zärtlichkeit. Solche Menschen, sehr menschliche Menschen, die Mangel leiden, kommen sonst in der Literatur wenig vor.
Mit Michel Houellebecq sprach Astrid Mayer
erschienen in: Tages Anzeiger 1.12.1998
Liebe ist, wenn es alle 15 Seiten geschieht
von Andreas Schäfer
Michel Houellebecq feilt weiter an seinem Image: traurig, taub oder schon tot
Zum Glück hat das neue Buch von Michel Houellebecq, es heißt „Plattform“ und ist das siebente in drei Jahren, ein Lesebändchen. Mit dem Lesebändchen kann man seine Lieblingsstelle markieren - ein Handgriff, und man ist mitten drin in einer Szene. Beim Lesebändchen hat der Verlag
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