Lanzarote
mitgedacht. Besser wäre aber gewesen, wenn er das Buch mit vielleicht sechs Bändchen in unterschiedlichen Farben ausgestattet hätte, die dann wie kleine bunte Zipfel aus dem Buch hätten heraushängen können. Das rosa Bändchen für Sex mit Minderjährigen, gelb für herkömmlichen Verkehr mit thailändischen Prostituierten („Sie nahm mich erst sanft mit kleinen Kontraktionen an der Eichel; dann ging sie mehrere Zentimeter tiefer und übte dabei einen deutlich zu spürenden Druck auf meinen Schwanz aus. ,Oh nein, Oh nein, Oh nein rief ich. „), schwarz für sadomasochistische Praktiken in einem Pariser Swingerclub, braun für Sandwichsex mit gut gebauten farbigen Zimmermädchen, reinweiß für lesbische Vergnügungen und mäuschengrau für die Stellen, an denen der Held, Michel genannt, Peepshowabonnent und im französischen Kultusministerium für die Vergabe von Projektgeldern zuständig, Hand an sich legt und zum Beispiel in die Seiten eines Grisham-Krimis ejakuliert. Mehr Lesebändchen wären also praktischer gewesen, aber auch ohne diese Hilfsmittel kommt man ganz gut klar, denn eines kann Houellebecq wirklich sehr gut: Seitenzählen. Ziemlich exakt alle vierzig Seite geht es zur Sache.
Nicht alle wissen diesen Service allerdings zu schätzen. Neulich gestand eine Kollegin, dass sie nicht einmal Houellebecqs „Elementarteilchen“ hatte lesen können. Und zwar wegen des ekligen Porträts des Autors auf dem Cover: Das vergammelte Jackett, die schäbige Plastiktüte an der hilfos abgeknickten Hand, das verquollene Gesicht, die Zigarette im Mundwinkel und die Nikotinfecken an den teigigen Fingern. Diese betont zur Schau gestellte Unansehnlichkeit! Wahrscheinlich würde sich bei Lektüre der Kopulationsszenen jedes Mal Houellebecqs käsiges Gesicht vor das innere Auge schieben. Danke, diesen Kick müsse sie sich nicht geben, sagte die Kollegin. Dabei ist es doch genau das, was den Hauptreiz des Phänomens Houllebecq ausmacht. Seine gut inszenierte Hässlichkeit, das Desolate und Pennerhafte in Kombination mit orgiastischen Sexdarstellungen. Im Gegenteil: Man muss sich Houellebecq höchstpersönlich in Aktion vorstellen, dann kommt das morbide Aroma des Kaputten, mit dem seine Bücher spielen, erst voll zur Geltung. Außerdem sieht man dann erst wirklich klar, was man im Fall von „Plattform“ in der Hand hat: Einen B-Porno, der auf existenzialistische Provokunst macht und seinen spärlichen Charme aus seiner Stümperhaftigkeit bezieht.
Was passiert also auf den Seiten zwischen den Stellen? Wo der herkömmliche Porno eine überfüssige Geschichte zusammenbastelt, wartet Houellebecq mit zweierlei auf. Es gibt zum einen viel Reisesoziologisches, das Houellebecq wie ein Proseminarist aus den Primärquellen einfach ins Buch kopiert hat; dazu ein paar Reisebeschreibungen - das Buch beginnt mit einer Pauschalreise Michels nach Thailand. Ansonsten wird vornehmlich gehasst, verunglimpft und entwürdigt, allerdings sehr gepfegt und unaufgeregt, bei einem Cocktail an der Strandbar. Erstes Hassobjekt: Die weiße Frau. Sie weiß den westlichen weißen Mann einfach nicht zu befriedigen, ganz anders als zum Beispiel die Thailänderinnen, sagt einer von Michels Reisekumpanen. Darauf erst mal ein Besuch im hauseigenen Massagesalon. Zweites Hassobjekt: der Islam als solcher ist eine schäbige Religion, behauptet ein Ägypter. Michel selbst sagt wenig, weil: „Ich habe ein Gehirn wie ein Haufen Scheiße. . . „ Was Michel dagegen denkt, ist interessanter, denn es verschmilzt die beiden Haupthassobjekte des Buches gekonnt miteinander: „Vom Kopf her gelang es mir, eine gewisse Anziehung für die Scheide muslimischer Frauen zu empfnden. „ Das sind so die Provosätze (Kälte! Verachtung! Fremdheit!), an denen man sich von „Plattform“ durch die Literaturgeschichte bis zu Camus und Huysmans hangeln kann. Aber da sind schon wieder vierzig Seiten vorbei, und ohne sich um irgendwelche Übergänge zu kümmern, heißt es: „Aber jetzt hatte ich erst mal richtig Lust zu vögeln. „ Eher unlogisch ist dann die Tatsache, dass Michel seine Traumfrau nicht in Thailand, sondern in Frankreich fndet. Valérie ist weiß und Nicht-Buddhistin, macht ihre Sache aber trotzdem ausgezeichnet. Außerdem arbeitet sie in der Touristikbranche und schmiegt sich, wie man bald merkt, Houllebecqs Kriterien bis zur Selbstaufösung an. So wie die Figuren ein rein touristisches Konsumverhältnis zur Welt haben, so hat der Autor eine sehr reduzierte
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