Lanze und Rose
brauche dir keine Rechenschaft abzulegen, Liam.«
»Oh doch!«,
»Ich habe deine Vorwürfe satt!«, brüllte Colin, von frisch erwachtem Zorn ergriffen, und riss sich los. »Wenn man dich so hört, bin ich der schlimmste aller Bastarde. Hast du Caitlin vielleicht niemals im Stich gelassen?«
Liam erbleichte.
»Colin …«
»Aha! Du erinnerst dich also doch daran, wie du nach Frankreich geflüchtet bist, damals, 1695, nachdem du aus dem Toolboth-Gefängnis von Edinburgh freigekommen warst? Also, ich kann dir gleich sagen, dass ich niemals an die Geschichte mit dem Waffenhandel geglaubt habe. Das war vollkommener Unsinn! Kein Mann, der richtig im Kopf ist, verschwindet so einfach, wenn er überraschend begnadigt wird. Nicht, nachdem er mehrere Wochen im Gefängnis verbracht und wegen eines Verbrechens, das er nicht begangen hat, auf seine Hinrichtung gewartet hat. Und auf jeden Fall nicht, wenn eine Frau wie Caitlin auf ihn wartet… Irgendetwas ist geschehen, und du hast es nicht ertragen. Also hast du dich davongemacht und sie alleingelassen. Oh, ich habe wirklich versucht, den Grund herauszubekommen! Ich habe Caitlin mit Fragen bestürmt. Doch deine Frau hat dich zu sehr geliebt, um den ersten Stein auf dich zu werfen, trotz allem, was du ihr angetan hast.«
Ein feindseliges Schweigen trat ein. Die beiden Brüder musterten einander kalt. Langsam reckte Liam das Kinn. Seine zusammengepressten Lippen waren bleich, und die Muskeln an seinem Kiefer zogen sich angespannt zusammen.
»Ganz richtig, du weißt nicht, was geschehen ist, und du wirst es auch heute nicht erfahren«, versetzte er trocken. »Und außerdem ist es nicht das Gleiche. Du, du hast gewartet, bis sie das Tal verlassen hatte, und bist erst dann wieder aufgetaucht. Du hast dir nicht mal die Mühe gemacht, ihr ins Gesicht zu sagen, dass du sie nicht mehr wolltest. Herrgott, Colin! Du hast dich wie ein Feigling verhalten. Hugh hat vollständig recht, wenn er dir den Hals umdrehen will. Eigentlich hätte ich zulassen sollen, dass er dich so verprügelt, wie du es verdient hättest!«
»Allerdings, du hattest kein Recht, dich einzumischen! Mein Leben geht nur mich etwas an.«
Colins graue Augen verdüsterten sich.
»Obwohl… Wenn ich es recht bedenke … Vielleicht geht es dich doch etwas an.«
Liam schüttelte den Kopf und sah Colin in die Augen. Einen Moment lang standen die beiden Brüder sich unbeweglich gegenüber.
»Ich möchte nicht wieder darüber sprechen, Colin.«
Eine drückende Stille folgte, in der sie kaum atmen konnten. Beide wussten genau, was der wahre Grund des Problems war. Doch keiner von ihnen wagte, davon zu sprechen. Das Gelächter und das Geschrei der Männer wurden von dem Dickicht, das sie vom Lager trennte, gedämpft und drangen nur als dumpfes, fernes Grollen zu ihnen. Colin zog seine Whiskyflasche hervor und bot sie Liam an, der mit einer Handbewegung ablehnte.
»Ich finde doch, dass es Zeit für uns ist, darüber zu sprechen, mein Bruder«, erklärte Colin mit rauer Stimme.
»Du hast genug getrunken und bist gar nicht in der Lage, darüber zu disputieren.«
Colin ignorierte die Bemerkung seines Bruders und kippte sich den Whisky zwischen die Lippen, der über sein Kinn lief und sein schmutziges Hemd befleckte. Er schnalzte mit der Zunge und wischte sich dann den Mund mit dem Handrücken ab. Er stieß ein leises, nervöses Lachen aus und sprach weiter.
»Für dich werde ich nie dazu in der Lage sein. Aber anders, als du denkst, habe ich eine äußerst klare Vorstellung davon, worum es geht.«
Sein glasiger Blick verlor sich in der Ferne. Von neuem setzte er die Flasche an. Der Branntwein versengte seine aufgesprungene Lippe und seine bereits raue Kehle, und er verzog das Gesicht.
»Ich nehme es dir immer noch übel, verstehst du. Aber im Laufe der Zeit habe ich gelernt, mich selbst zu täuschen, wie du sehen kannst … Ich tue, was ich kann, um zu vergessen …«
Mit einem ironischen Lächeln schwenkte er die Flasche vor Liams Gesicht hin und her. Dann entspannte sich seine Miene.
Liam blieb stumm, doch er ließ Colin nicht aus den Augen. Unter dem Bart, der seinen Kiefer umschattete, spannten sich seine Muskeln an.
»Was für einen undankbaren Bruder ich abgebe, stimmt′s? Liam der Weise … Und Colin der Aufsässige. Du hast immer versucht, mich zu beschützen, und ich habe dich dafür gehasst … Bei jeder Torheit, die ich begangen habe, hast du dich beeilt, mich vor MacIain zu verteidigen, damit er
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