Lanze und Rose
Angesichts so viel unverdienten Unglücks … sagte ich mir, dass ich im Recht war, wenn ich zweifelte.
Zu unserer allergrößten Erleichterung sank Patricks Fieber nach vier Tagen. Unermüdlich hatten wir uns an seinem Bett abgewechselt, um ihm die Stirn zu kühlen und sein Zittern zu lindern. Es war uns gelungen, ihm ein wenig Fleischbrühe einzuflößen, oder die Kräuteraufgüsse, die Brigid auf Anweisung des Chirurgen bereitete. Quinlan verfolgte die Fortschritte des Verletzten genau. Heute Morgen ging es Patrick viel besser, und er nahm seine erste feste Mahlzeit ein.
Er saß in einem Sessel. Der Umfang seines verletzten Beines, das zwischen zwei hölzernen Schienen steckte, hatte sich beträchtlich vermindert. Die Sonne, die durch die Scheiben eines Buntglasfensters fiel, überzog seine bleichen, frisch rasierten Wangen mit einem durchscheinenden, vielfarbigen Mosaik. Er lächelte Sàra zu, die ihm ein Stück kaltes Hühnchen reichte.
Ich kam zu dem Schluss, dass es für mich Zeit war, nach Glencoe zurückzukehren. Auch Patrick würde bald nach Fetteresso aufbrechen. Vorhin hatte ich ihm von dem Komplott gegen den Prätendenten berichtet. Wir hatten offensichtlich keinen Beweis und erst recht keinen Namen, die wir hätten nennen können.
Doch man durfte die Bedrohung nicht vernachlässigen. Er würde mit George Keith, dem Earl of Marischal, darüber sprechen.
Außerdem war es höchste Zeit, dass ich wieder meinen Mutterpflichten nachkam. Bei allem guten Willen konnte Frances nicht sämtliche Arbeit allein erledigen. Es gab mir einen Stich ins Herz, meinen Bruder mit seiner Frau zu beobachten. Ich war glücklich darüber, dass er seiner misslichen Lage entronnen war. Doch zugleich tat es mir weh, das Glück der beiden zu sehen. Ich konnte nicht anders. Ich hatte so viel zu verlieren.
Würde die Vernunft über die Menschen herrschen;
hätte sie auf die Häupter der Nationen
den Einfluss, welcher ihr gebührt, dann würden sie
sich nicht länger unbedacht in das Grauen
des Krieges stürzen.
Diderot
10
Die Masken fallen 11. November 1715
Die Luft war schwer von säuerlichen Körperausdünstungen, die sich mit dem ebenso durchdringenden Dunst des Whiskys und des Torffeuers, das die provisorische Unterkunft im Lager von Auchterarder verqualmte, mischten.
In dem Gemeinschaftszelt herrschte ein unablässiges Getöse: laute, berauschte Stimmen, kräftiges Gelächter, gedämpftes Stimmengemurmel, das Klirren von Waffen und das Knistern der Feuer. Inmitten dieses Gewimmels saß Liam mit seinen ständigen Begleitern, Simon und Angus Macdonald, im Gras und war inzwischen bei seinem dritten Pint Bier.
Nach einem anstrengenden, zweimonatigen Feldzug hatte General Gordons Highlander-Armee vor zwei Tagen auf Drummond Castle Halt gemacht. Sogleich war ein Kriegsrat einberufen worden, an dem alle jakobitischen Anführer teilgenommen hatten. Unmittelbar darauf hatte sich das Gerücht über die Entscheidung des Earl of Mar wie ein Lauffeuer im Lager verbreitet. Mars Armee, die in Perth einquartiert war, sollte morgen bei Sonnenaufgang die Stadt verlassen und nach Dunblane marschieren, um die kleine Stadt, die nur wenige Meilen von Stirling entfernt lag, in Besitz zu nehmen.
Anschließend würden als Ablenkungsmanöver drei Abteilungen von je eintausend Männern zur Brücke von Stirling sowie zu zwei Furten ziehen, die weiter flussaufwärts am Forth lagen. Währenddessen sollte der Hauptteil der Armee, achttausend Mann, versuchen, den Fluss weiter östlich zu überqueren. Die drei ersten Abteilungen würden am anderen Ufer zu ihnen stoßen.
Und in dem Falle, dass der Duke of Argyle Stirling verließ, um den drei zur Ablenkung entsandten Abteilungen den Weg abzuschneiden, konnte der Hauptteil des Heeres die Stadt einnehmen und den hannoveranischen Truppen nachsetzen. So war die Strategie des Earl of Mar das Thema, das heute alle Gespräche bewegte.
Am Tag zuvor hatten nach einem ersten, eintägigen Marsch die aus Perth kommenden Truppen Quartier in der Nähe des kleinen Weilers Auchterarder bezogen. Gordons Highlander waren noch am selben Morgen zu ihnen gestoßen. Man hatte den Männern für den Rest des Tages Ruhe gegönnt, denn gleich am nächsten Morgen würde Gordon dreitausend Clankrieger und acht berittene Schwadronen nach Dunblane führen. Der Clan von Glencoe stand auf der Liste.
Die Unruhe und Anspannung, die im Allgemeinen einer Schlacht vorausgingen, begannen im Lager spürbar zu werden und belasteten
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