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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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hinterlassen hatte, als es am warmen Fenster geschmolzen und auf der Außenseite des Glases herabgeglitten war. Dann verlor sich mein Blick in der Ferne: Die Hügel von Glencoe waren mit einer dünnen weißen Schneeschicht überzogen, und die Wolken hingen so tief, dass die Berggipfel darin verschwanden.
    Seit meiner Rückkehr aus Culross hatten wir abscheuliches Wetter gehabt. Wenn die Sonne schien, war es kalt, und der Schnee knirschte unter unseren Schritten. Doch wenn es milde war, so wie heute, fiel uns buchstäblich der Himmel auf den Kopf. Daher blieben wir den Großteil der Zeit im Inneren der Häuser. So hatte ich genug freie Zeit gehabt, zwei Plaids zu weben und zusammenzunähen. Ein Plaid befand sich noch auf dem Webstuhl, doch merkwürdigerweise konnte ich mich nicht aufraffen, es fertigzumachen.
    Ein leises Kichern, das hinter mir erklang, riss mich aus meinen Gedanken. Ich wandte mich um und ließ den Blick durch die Küche schweifen, die als Schulzimmer diente. Missbilligend runzelte ich die Stirn. Alle Blicke richteten sich auf die kleine Kenna Macdonnell, die sich über den Tisch reckte, um sich aus der Obstschale, die in der Mitte stand, einen Apfel zu mausen. Als das Mädchen sich wieder auf die Bank setzte, wurde ihr hübsches Kindergesichtchen ganz bleich, und sie riss die Augen weit auf. Dann sprang sie hoch und stieß einen durchdringenden Schrei aus. Alle anderen Kinder, die sich über ihre tintenbeklecksten Blätter beugten, schütteten sich vor Lachen aus.

    »Neil Macdonnell, du bist ein … ein …«
    Aus ihren großen, schwarzen Augen sah sie zu mir auf, dann schaute sie enttäuscht auf ihren Apfel hinunter und rieb sich das Hinterteil.
    »Neil hat einen Nagel auf meinen Platz gelegt, Mrs. Caitlin.«
    Sie nahm den besagten Gegenstand auf und streckte ihn mir entgegen.
    »Das war ich nicht!«, verteidigte sich ihr Bruder. »Isaak hat das gemacht!«
    »Gar nicht wahr«, erwiderte der andere. »Sag es ihr, Alice, du hast es doch auch gesehen. Neil hat den Nagel auf Kennas Bank gelegt.«
    Alice MacEanruigs sah ihren jüngeren Bruder herablassend an.
    »Warum sollte ich lügen, um dir aus der Patsche zu helfen? Ich habe meine Aufgaben gemacht und gar nichts gesehen.«
    Isaaks kleines, bereits mit roten Flecken übersätes Gesicht lief dunkel an. Der Junge presste die Lippen zusammen und warf seiner Schwester einen mordlustigen Blick zu.
    »Du lügst doch selbst! Du hast nicht gelernt, sondern Alex schöne Augen gemacht …«
    »Isaak!«, schrie sie zurück. Ihre Wangen glühten.
    »Jetzt reicht es aber!«, rief ich und klatschte in die Hände.
    Ich betrachtete meine Schüler und musste mir große Mühe geben, nicht zu lachen. Ich stemmte die Fäuste in die Hüften, setzte so gut ich konnte eine ärgerliche Miene auf und überlegte, wie ich diese Geschichte entwirren und den Urheber des kleinen Streichs finden sollte.
    »Mal sehen: Wenn Alice wirklich Alex schöne Augen gemacht hat, wie Isaak behauptet, dann konnte sie nicht sehen, wer den Nagel auf die Bank gelegt hat. Und wenn Isaak seine Schwester angesehen hat, wie er sagt, dann kann er nicht der Schuldige sein. Einverstanden? Bleiben Alex, Coll und Neil. Aber Alex und Coll sitzen auf der anderen Seite des Tisches …«
    Ich wandte mich dem kleinen Neil zu, der bereits den Kopf einzog.
    »Damit bleibst nur noch du übrig, Neil. Und außerdem sitzt
du auf derselben Bank wie deine Schwester. Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?«
    Der Junge zuckte die Achseln und lächelte mir zerknirscht zu.
    »Es tut mir leid, Mrs. Caitlin.«
    »Du solltest dich bei Kenna entschuldigen. Nicht ich bin es, die ein Nagel ins Hinterteil gepiekt hat.«
    Die Kinder quittierten meine Bemerkung mit unbändigem Kichern. Mir war aufgefallen, dass es sie zum Lachen brachte, gewisse Körperteile zu erwähnen, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, immer eines dieser Wörter einzuflechten, wenn ich die Kinder rügte, um die Atmosphäre ein wenig zu entspannen, bevor wir uns erneut ernsten Themen zuwandten.
    »Also, Neil?«
    Der kleine Spaßvogel drehte sich zu seiner Schwester um und entschuldigte sich widerwillig. Er schickte sich an, sein hausgemachtes Folterinstrument wieder an sich zu nehmen, als ich ihn noch einmal anrief.
    »Moment, kleiner Mann! Nicht so schnell!«
    Ich trat einige Schritte auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen.
    »Kann ich das einmal sehen?«
    »Wollt Ihr es mir wegnehmen?«
    »Das kommt darauf an.«
    Ein einfacher

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