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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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Engländer übernommen. Diese Kinder hatten das schreckliche Massaker von 1692 nicht miterlebt, doch sie kannten jede Einzelheit. Ihre Eltern legten Wert darauf, die Erinnerung an dieses tragische Ereignis wachzuhalten.
    »Wenn wir einen katholischen König haben«, meldete sich Kenna leise zu Wort, »müssen wir dann auch noch lernen, auf Englisch zu schreiben?«
    »Natürlich, du dummes Ding! König James spricht ganz bestimmt kein Gälisch!«
    »Neil! Hüte deine Zunge.«
    Dann wandte ich mich dem kleinen Mädchen zu, das gerade in seinen Apfel biss.
    »Ich fürchte ja, Kleines. Außerhalb der Highlands spricht man in Schottland Scots 27 und Englisch, verstehst du?«
    »Ja, Mama sagt, dass wir eine ›Minnerheit‹ sind.«
    »Minderheit.«
    »Sag ich doch. Sie sagt, dass die Sassanachs uns als Parias betrachten. Was ist das, ein Paria?«
    »Nun ja, ein Paria ist jemand, auf den andere herabsehen.«
    »Und wieso sieht man auf uns herab?«, fragte sie naiv.
    »Weil wir anders sind. Wir denken anders, und wir sprechen eine Sprache, welche die anderen nicht verstehen. Wir haben ganz besondere Traditionen und Lebensgewohnheiten.«
    »Aber wir beten zu demselben Gott! Das habt Ihr doch eben gesagt.«
    Ich seufzte.
    »Allerdings. Aber die Männer streiten sich darüber, auf welche
Weise wir diesen Gott anbeten sollen. Die Katholiken vertrauen auf den Papst, die anglikanische Kirche auf die Bischöfe und die Presbyterianer direkt auf Gott.«
    »Also, ich verstehe nicht, warum die Männer sich im Namen desselben Gottes bekämpfen, der nach der Heiligen Schrift Mitgefühl und Duldsamkeit von uns verlangt«, meinte Alice.
    »Also, du begreifst wirklich überhaupt nichts!«, schrie Isaak ungeduldig. »Papa zieht nicht für Gott in den Krieg, sondern um Schotte zu bleiben. Weißt du, was er immer sagt?«
    Uninteressiert zuckte sie die Achseln.
    »Er sagt, dass wir vor allem Schotten sind. Ein bisschen sind wir auch britische Untertanen, aber wir werden niemals Engländer sein.«
    Ich lächelte. Mit seinen zwölf Jahren war Isaak ein kleines Ebenbild seines Vaters, Donald MacEanruigs. Selbstgefällig, überschwänglich und undiszipliniert, aber charmant und von einer unerschütterlichen Loyalität gegenüber seinem Clan und seinen Wurzeln erfüllt. Stolz reckte er die Schultern, über die er den Tartan der Macdonalds geschlungen hatte, und schüttelte sein langes, widerspenstiges Haar, das einen wunderschönen dunklen Rotton aufwies.
    »Ich werde jedenfalls niemals Engländer werden. Nie werde ich mein Blut verleugnen wie diese Dummköpfe von Campbells, und…«
    »Und du wirst deine Schulaufgaben machen, worum ich dich gebeten habe«, beendete Janet MacEanruigs, die gerade eingetreten war, seinen Satz und schüttelte sich den Schnee von den Schultern. Sie brachte ein Tablett mit kleinen, frisch gebackenen Honig-Scones, das sie auf den Tisch stellte.
    »Teich! Weg mit euch!«, schimpfte sie und versetzte einer gierigen Hand einen Klaps. »Erst nach dem Unterricht.«
    »Aber Mama …«, protestierte Isaak und setzte sich wieder.
    »Kein Aber! Wie weit seid ihr?«
    Ich setzte ein etwas betretenes Lächeln auf.
    »Nicht wirklich weiter als vorhin, als du gegangen bist. Wir haben uns bei einem heiklen Thema aufgehalten.«
    »Ach ja? Welchem denn?«

    »Der Religion, dem König von Schottland und dem Krieg«, antwortete Isaak.
    »Meine Güte, das sind ja gleich mehrere schwierige Themen! Wie wäre es, wenn ihr euch an die Religion und das Gebet haltet? Schreibt das Pater noster zu Ende ab, dann sollt ihr euren Imbiss haben.«
    Die Anweisung wurde mit einigem Protestgemurmel quittiert, doch die Kinder griffen wieder nach ihren Federn und machten sich an die Arbeit, wobei sie verstohlen nach den Kuchen lugten, deren Duft die Küche erfüllte.
    »Was bedeutet… inducas in … tentationem ?«, fragte Alex plötzlich und sah zu mir auf.
    »Et ne nos inducas in tentationem . Auf Gälisch sagte man: Thoir dhuinnan diugh ar n-aran lathail , und das heißt: und führe uns nicht in Versuchung.«
    »Es wäre so viel einfacher, es in unserer Sprache zu sagen«, murrte er und strich sich mit der Gänsefeder über seinen spärlichen Bart. »Und übrigens, warum machen sich eigentlich die Katholiken das Leben schwer, indem sie ihre Gebete auf Latein schreiben?«
    »Weil es eine universelle Sprache ist. Wenn man auf diese Sprache zurückgreift, vermeidet man die Fehler, die bei einer Übersetzung von einer Sprache in die andere unvermeidlich

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