Lanze und Rose
erzählt.«
»Sie hat es Euch erzählt? Nun ja …«
Er zögerte. Seine langen, knochigen Finger nestelten nervös an der Tasche seiner hellblauen Samtweste, welche die Farbe seiner Augen betonte. Kurz stellte Duncan sich Marion in einem Kleid von der gleichen Farbe vor.
»Habt Ihr Gewalt gebraucht?«
Duncan blinzelte vor Verblüffung.
»Ähem… Nein, Sir!«
Der Laird verzog das Gesicht und kratzte sich am Nasenflügel, während er den jungen Mann argwöhnisch in Augenschein nahm.
»Offensichtlich fällt es ziemlich schwer, Marion zu etwas zu zwingen, das sie nicht will. Ich weiß selbst am besten, welchen Aufruhr man sich damit einhandeln kann. Und da ich erraten kann, welche Gefühle sie Euch gegenüber hegt, glaube ich ihr, wenn sie sagt, dass sie Euch selbst in ihr … Zimmer eingeladen
hat. Sie ist inzwischen eine junge Frau, die weiß, was sie will. Natürlich bin ich entsetzt über ihr Verhalten, und das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Aber ich kann nichts mehr dagegen tun, nicht wahr?«
Er lachte sarkastisch auf und fuhr dann fort.
»Ich muss zugeben, dass die Schuld auch ein wenig bei mir liegt. Stets habe ich sie tun lassen, was sie wollte. Ich bin viel zu müde, um mit ihr zu streiten. Zu Amelias großem Kummer ist sie schon immer lieber in Hosen auf Erdhügeln herumgeklettert, statt artig und in einem sauberen Kleid im Haus zu bleiben und sich weiblichen Tätigkeiten zu widmen oder Bibelverse aufzusagen. Sie kann sehr starrköpfig sein, versteht Ihr.«
Duncan schmunzelte.
»Das hatte ich schon vermutet … Außerdem besitzt sie eine sehr scharfe Zunge.«
»Hmmm…«, meinte der Laird und zog die Augen zusammen. »Zweifellos hätte ich an diesem Punkt strenger sein sollen. Ihre Sprache lässt sehr zu wünschen übrig.«
»Ich komme inzwischen ganz gut damit zurecht«, meinte Duncan, der immer noch lächelte.
»Ja, daran hege ich keinen Zweifel.«
Glenlyon sah ihn mit einem eigenartigen Blick an, bei dem ihm unwohl wurde.
»Wie heißt Euer Vater?«
»Liam Macdonald.«
»Liam… In den Highlands ist dieser Name nicht sehr verbreitet. Ich glaube, ich erinnere mich an ihn. Wahrscheinlich bin ich ihm irgendwann einmal ›zufällig‹ auf meinem Land begegnet.«
Nachdenklich rieb er sich das Kinn und drehte sich dann zu dem Bild um, das hinter ihm hing.
»Ihr wisst, dass dieser Mann mein Vater ist?«
»Ja, das hatte ich vermutet.«
»Was er getan hat, kann man weder wiedergutmachen noch vergessen. Er war ein kranker Mensch, dessen sich andere bedienten und der sich lenken ließ. Ich will seine Taten nicht entschuldigen, aber ich möchte nicht, dass Marion den Preis dafür zahlt.«
Er sah Duncan vielsagend an.
»Ihr versteht, was ich damit sagen will?«
»Ganz genau, Sir.«
»Was habt Ihr jetzt mit ihr vor, nun, da … Also, wie sind Eure Pläne?«
»Ich möchte sie mit nach Glencoe nehmen«, antwortete Duncan, ohne mit einer Wimper zu zucken.
Der Kiefer des Laird arbeitete. Mechanisch wickelte er die goldene Uhrkette, die an seinem Knopfloch befestigt war, um den Zeigefinger und spannte sie dabei gefährlich.
»Glencoe…«, murmelte er mit verzerrter Miene, als bedeute das bloße Aussprechen dieses Namens eine gewaltige Anstrengung für ihn. »Ist sie damit einverstanden?«
»Ja.«
Mürrisch verzog Glenlyon das Gesicht und tat mit einem hörbaren Seufzer seine Kapitulation vor den Tatsachen kund. Duncan empfand ein wenig Mitleid mit diesem Mann, der offenbar so schwer an seinem Schicksal zu tragen hatte. Ob Marion ihren Vater wohl schon einmal hatte lächeln sehen?
»Sagt mir, Macdonald, warum wollt Ihr meine Tochter mit nach Glencoe nehmen?«
Duncan verschlug es einen Moment lang die Sprache. Dann reckte er die Schultern und hob das Kinn.
»Weil ich sie liebe, Sir.«
Sein Herz galoppierte wie ein panisches Tier, das versucht, vor einer Gefahr zu fliehen. Er hatte Marions Vater die Gefühle eingestanden, über die er sich gerade erst selbst klar geworden war. Er liebte Marion.
»Ihr liebt sie also…«, gab Glenlyon laut zurück. »Und wie weit würde Eure … Liebe zu ihr gehen?«
»Ich würde alles für sie tun.«
Die Worte waren ihm wie von selbst über die Lippen gekommen. Sie verblüfften ihn selbst. Ja, er liebte Marion Campbell. Vorhin im Zimmer, als ihr Bruder sie geschlagen hatte, hatte er solchen Zorn empfunden, dass er jetzt wusste, dass er für sie töten könnte. Wäre John nicht ihr Bruder gewesen, er hätte ganz gewiss die Klinge seines Dolches zu spüren
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