Lanze und Rose
eine Waschschüssel gebeugt wieder, in die ich den ganzen Inhalt meines heftig rebellierenden Magens entleerte.
»Oh, mein Kopf!«, stöhnte ich und ließ mich auf das Kissen zurückfallen.
»Das wird schon wieder. Ich hätte dir nicht erlauben sollen, den zweiten Krug auch noch auszutrinken.«
Mit einem feuchten Tuch tupfte er mir Stirn und Brust ab und gab mir ein paar Schlucke Wasser zu trinken. Ich hielt die Augen geschlossen, um das Schwindelgefühl zu dämpfen, das nicht weichen wollte. Doch ich spürte, dass er mich ansah.
»Ich gehe aus Schottland fort, Caitlin«, erklärte er unvermittelt.
»Wie bitte?«
Ich schlug ein Auge auf. Er betrachtete mich mit ernster Miene. Immer noch war er so schön wie früher. Das raue Leben, das er sich erwählt hatte, hatte nur wenig Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen — abgesehen von dieser Narbe am Kinn, Hinterlassenschaft einer Prügelei mit einem Mann aus Keppoch, die er bei einem Zechgelage davongetragen hatte.
»Warum? Wohin willst du?«
»Ich gehe nach Amerika. Keine Ahnung … Vielleicht nach Kanada… oder nach Virginia oder Carolina… Wohin mich das erstbeste Schiff mitnimmt. Ich kann nicht mehr hierbleiben, verstehst du?«
Ich nickte. Doch eigentlich ging in meinem Kopf alles, was ich hörte, durcheinander. Ich spürte seine Lippen auf meinen.
»Ich liebe euch beide, Liam und dich. Doch es tut mir zu weh, euch zusammen zu sehen«, gestand er mit leiser Stimme.
Er setzte eine resignierte Miene auf und wandte den Blick ab.
»Ich gehe mit euch nach Inverness, wegen Frances. Danach suche ich mir ein Schiff.«
»Aber der Aufstand … Sie werden dich nicht an Bord lassen. Gewiss werden die Häfen streng überwacht.«
Ich spürte, wie der Geschmack von Galle mir in den Mund stieg, und verzog das Gesicht.
»Ich werde schon einen Weg finden. Gestohlene Papiere zum Beispiel…«
»Aber wieso willst du Schottland ganz verlassen? Warum zieht es dich so weit fort?«
Matt zuckte er die Achseln.
»Handel und Wandel liegen im Argen. Für mich gibt es hier nichts mehr zu gewinnen. Amerika bietet viele Möglichkeiten. Anscheinend kann man dort im Pelzhandel ein Vermögen verdienen.«
»Aber es heißt, diese Landstriche würden von Wilden unsicher gemacht, die einem die Kopfhaut mit den Haaren abschneiden, um sich daraus Trophäen zu machen.«
Er lachte ironisch auf.
»Mit denen müsste ich eigentlich gut auskommen…«
»Colin … Daran bin ich schuld. Ich habe dir dein Leben verdorben.«
»Rede keinen Unsinn, Caitlin. Das hat nichts mit dir zu tun. Für mein Unglück bin ich selbst verantwortlich.«
»Nein, es ist meine Schuld. Alles ist meine Schuld! Verflucht soll der Tag sein, an dem ich euch begegnet bin, Liam und dir!«
»Hör auf, Caitlin. Sag so etwas nicht.«
Ich schluckte. Mein Hals brannte und fühlte sich ausgetrocknet an; mein Magen hatte sein letztes Wort noch nicht gesprochen. Colin sah mich niedergeschlagen an. Er schob eine feuchte Haarsträhne zurück, die auf meinem Gesicht klebte.
»Du solltest schlafen. Ich werde noch ein wenig bleiben, um mich zu vergewissern, dass es dir gutgeht.«
Ich sah ihn einen Moment lang an und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Vielleicht gab es ganz einfach nichts zu sagen. Colin liebte mich immer noch und litt darunter. Er hatte sich dem Whisky und einem abenteuerlichen Leben zugewandt. Daran gab es nichts zu ändern. Vielleicht war es tatsächlich besser,
wenn er für immer fortging. Bekümmert sah ich zu ihm auf und nickte langsam.
Zärtlich umwehte die warme Brise, die ich auch auf meinem Gesicht spürte, die smaragdgrünen, blau gesprenkelten Hügel, die sich sanft gewellt und leuchtend vor mir ausbreiteten. Unser Hund Seamrag tollte fröhlich kläffend um meinen kleinen Ranald herum. Das Lachen meines Sohnes schallte über die Heide, und sein Haar, das um das vor Vergnügen rot angelaufene, pausbäckige Gesicht flog, schimmerte in der Sonne.
»Lauf nicht auf die andere Seite des Hügels, Ran!«
Ich strich ganz frischen Schafskäse auf einen noch warmen Brotkanten.
»Nein, Mutter!«
Ich lächelte ihm zu. In seinem Tartan wirkte mein Sohn wie ein schillernder Wirbelwind aus Rot, Grün und Blau. Einen Moment lang schloss ich die Augen, um den süßen Duft des Heidekrauts einzusaugen. In der Sonne war es warm, so warm…
Ich schlug die Augen auf.
»Ran?«
Wo war er bloß geblieben?
»Ran?«
Ich versuchte aufzustehen, aber meine Beine steckten fest wie in einem
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