Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
Vom Netzwerk:
Himmel und Erde nicht unterscheiden konnte, in gallebitterer Stimmung angetreten.
    Liam schenkte mir ein schüchternes Lächeln. Da ich die Lage nicht noch unerträglicher machen wollte, als sie ohnehin schon war, gab ich mir Mühe, es zu erwidern. Dann schloss ich die Augen, um ein wenig Ordnung in all die Empfindungen zu bringen, die sich in mir überschlugen und meine Seele quälten, die schon genug gelitten hatte.
    Wir saßen jetzt schon seit mehreren Stunden im Sattel. Seit wie vielen genau, hätte ich nicht sagen können, denn hinter dem wirbelnden Schnee blieb die Sonne unsichtbar. Blind ließ ich mich von meiner Stute tragen, die glücklicherweise zu wissen schien, wohin sie ging. Hinter uns ritten Colin und Donald und unterhielten sich leise. Ihre Stimmen drangen als gedämpftes Murmeln zu mir. Liam lenkte sein Pferd neben mir dahin. Die Straße begann anzusteigen. Mir knurrte der Magen, denn wir hatten seit unserem Aufbruch noch nichts zu uns genommen.
    Das Wiehern eines Pferdes und eine Stimme, die durch das Schneegestöber drangen, ließen uns im Sattel erstarren. Liam legte eine Hand auf meinen Schenkel und mahnte mich mit vielsagender Miene zum Schweigen. Dann drehte er sich zu Colin und Donald um, die fragende Blicke austauschen.
    »Wir werden verfolgt«, flüsterte Donald.

    Ich zog die Augen zusammen und spähte in die weiße Landschaft, die hinter uns lag: nichts als Schnee, den die Windböen rund um uns her aufwirbelten. Ich zuckte die Achseln.
    »Aber du hast es doch ebenso gut gehört wie ich, oder?«, fragte Colin.
    »Sicher.«
    Da erblickten wir sie: Aus dem Schnee tauchte eine Abteilung englischer Dragoner auf, die sich in zwei Kolonnen aufgeteilt hatte.
    »Verflucht und verdammt!«, schimpfte Colin.
    Liams Finger gruben sich tiefer in mein Gelenk, und ich begegnete seinem besorgten Blick. Die Lage war ernst. Die Männer zogen ihre Pistolen und machten sie schussbereit. Dann gaben wir in stillschweigendem Einverständnis unseren Pferden die Sporen und donnerten mit verhängtem Zügel in die weiße Hölle hinein.
    Die Dragoner, die uns bemerkt hatten, waren uns auf den Fersen. Rund um uns prallten die Kugeln von den Bäumen ab und rissen mit lautem Knall die Rinde auf.
    »Schlag dich in die Wälder!«, schrie Liam mir zu und lenkte sein Reittier auf die Bäume zu.
    »Liam!«, kreischte ich entsetzt.
    Eine Kugel pfiff über uns hinweg.
    »Tu, was ich dir sage, Caitlin!«
    Kurz riss er mich an sich und küsste mich heftig.
    »Ich liebe dich, a ghràidh . Und jetzt verschwinde!«
    »Ich kann nicht…«
    Er sprang von seinem Pferd, zog mich von meinem und stieß mich dann auf den Wald zu. Noch ein Schuss, dann ein Schrei. Ich drehte mich um. Colin klammerte sich an die Mähne seines Reittieres. Ein eigenartiger Ausdruck lag auf seinem verzerrten Gesicht.
    »Colin!«, schrie ich und wollte zu ihm stürzen.
    Doch Liam packte mich um die Taille und schob mich gebieterisch auf das schützende Unterholz zu.
    »Ich beschwöre dich, a ghràidh , lauf und versteck dich!«
    In seinen Augen und auf seinen Zügen las ich Schmerz, Angst und Verzweiflung. Eine weitere Kugel schlug krachend hinter mir
in einen Ast ein. Ich erwachte aus meiner Erstarrung und rannte im Zickzack zwischen den Bäumen hindurch. Wie Gespenster tauchten sie aus dem Schneegestöber auf, streckten ihre langen, kratzigen Arme nach mir aus, rissen mir das Gesicht auf, klammerten sich an meine Kleidung und versuchten, mich bei meiner panischen Flucht zu behindern. Der Sturm peitschte auf mich ein, die Böen schlugen mir ins Gesicht, und ich bekam kaum noch Luft. Gott, hilf uns!
    Das Gebrüll der Soldaten hallte in meinen Ohren und meinem Kopf wider. Die Landschaft schien rasend schnell vor mir vorüberzuziehen. Wie ein verfolgtes Tier ließ ich mich von meinem Instinkt lenken. Du musst einen Unterschlupf finden, Caitlin, dich irgendwo verkriechen … Aber ich sah nichts! Und dann…
    Ich verlor den Boden unter den Füßen und stürzte ins Leere. Unter mir tat sich ein Abgrund auf und schien mich ins Innere der Erde saugen zu wollen. Mit der Kraft der Verzweiflung packte ich einen Ast, der sich jedoch weigerte, mein Gewicht zu halten. Dann schlug ich die Fingernägel in den Schnee, glitt aber auf Eis und Fels ab. Vor meinen aufgerissenen Augen raste eine Granitwand vorbei. Ich hörte, wie mein Schrei nach oben stieg, an den Felsen zurückprallte und dann vom heulenden Wind davongetragen wurde.
    Endlich kam ich am Grund der Schlucht zum

Weitere Kostenlose Bücher