Lanze und Rose
widersprüchlichen Gefühlen hin- und hergerissen und schwankte zwischen Abscheu und Mitleid.
»Und jetzt wirst du mir zuhören.«
Er nickte schweigend.
»William Gordon wollte etwas anderes, als du dir vorgestellt hast… Er ist ein Spion, Liam. Dessen bin ich mir ziemlich sicher. Und er weiß, dass ich über ein Komplott gegen den Prätendenten im Bilde bin. Er wollte, dass ich ihm verrate, was ich weiß…«
Liam erwachte aus seiner Erstarrung und schaute ungläubig drein. Ich war ihm eine Erklärung schuldig, doch das war nicht möglich, ohne ihm mein kleines Abenteuer in Edinburgh zu gestehen. Also berichtete ich ihm von Patricks Missgeschick. Ich schilderte ihm, wie ich Gordon zufällig im Gespräch mit einem Hannoveraner Offizier gesehen hatte. Dann erzählte ich ihm von unserer Flucht nach Culross und vertraute ihm das Geheimnis an, das Matthew mir enthüllt hatte. Schließlich sprach ich von dem Dokument, das die Macgregors abgefangen hatten, und der Rolle, die der Sohn des Duke in diesem scheußlichen Komplott spielte. Liam lauschte meinem Bericht in vollkommenem Schweigen und mit nach wie vor leerem Blick.
»Er hat mich bedroht, Liam«, fuhr ich nach kurzem Schweigen fort. »Er hatte mein Gespräch mit Colin mitangehört…«
»Warum?«, murmelte er und wich meinem Blick aus. »Wieso hast du mir nicht früher davon erzählt?«
»Wir hatten an anderes zu denken. Ich war der Ansicht, das hätte noch Zeit.«
»Zeit…«
Langsam, als trüge er das ganze Gewicht der Welt auf den Schultern, stand er auf. Der Stuhl knarrte, als er sich setzte. Das bleierne Schweigen zog sich in die Länge.
Sein Zorn war tiefster Erschöpfung und Verwirrung gewichen. In seine Gedanken versunken, sah er mich nicht kommen und fuhr zusammen, als ich ihm über die Schulter strich.
»Was geschieht mit uns, Liam?«
Er vergrub das Gesicht in meinen Röcken und brach in Tränen aus. Lange Zeit stöhnte und zitterte er. Ich wartete, strich über seine Locken und unterdrückte mein eigenes Bedürfnis, ebenfalls die Schleusentore zu öffnen.
»Ich bitte dich um Verzeihung, Caitlin … Es tut mir so furchtbar leid…«
Er war so aufgewühlt, dass ihm die Stimme versagte.
»Wirst du mir jemals vergeben können?«
Doch ich wusste ihm nichts zu antworten.
Der graue Himmel schien tief über unseren Köpfen zu hängen. Einige Schneeflocken tanzten träge um uns herum und überzogen die blauen Barette und farbigen Plaids der Männer mit einer weißen Schicht. Wir hatten uns noch vor Sonnenaufgang davongeschlichen, und ich fühlte mich zutiefst erleichtert darüber, dass wir der allgemeinen Niedergeschlagenheit, die in Perth herrschte, entronnen waren.
Die neuesten Gerüchte, die jetzt in der Stadt kursierten, waren bestürzend. Man erzählte sich, manche jakobitischen Anführer seien bereit, unter gewissen Bedingungen den Prätendenten an die Regierung auszuliefern. Zu denen, gegen die man solche Vorwürfe erhob, gehört der Marquess of Huntley. Zu unserer größten Verzweiflung deutete alles daraufhin, dass die Kapitulation unmittelbar bevorstand. Meine Begleiter waren daraufhin in düsteres Schweigen versunken. Die Reise versprach ziemlich trübselig zu werden.
Von Frances und Trevor hatten wir nichts Neues gehört. Ich kam fast um vor Sorge. Trevor war wahrscheinlich des Mordes angeklagt und schmachtete in einer kalten, düsteren Zelle im Tolbooth von Inverness. Und Frances … Ich flehte zu Gott, sie möge heil und gesund und in Freiheit sein. Doch selbst wenn dem so war, musste sie durch die kleine Stadt irren wie eine gequälte Seele, auf ein Wunder wartend, das ihr den Ehemann zurückgeben
würde. Aber im Grunde meines Herzens fürchtete ich, dass wir Trevor nicht würden helfen können. Vielleicht hatten sie ihn sogar schon aufgehängt.
Liam wurde von einem Hustenanfall geschüttelt, und ich sah zu ihm hin. Fieber schien er nicht zu haben, doch sein pfeifender Atem beunruhigte mich. Er hatte auf dem eiskalten Fußboden des Zimmers geschlafen, was seinen Zustand gewiss nicht verbessert hatte. Jetzt fürchtete ich, dass der lange Ritt, der vor uns lag, seiner Gesundheit noch weiter schaden würde.
Ich für meinen Teil war vollständig erschöpft. So aufgewühlt war ich von den Ereignissen des Vorabends gewesen, dass der Schlaf mich nicht erfrischt hatte. Die wenigen Stunden, die ich hatte schlummern können, waren von wild bewegten Träumen erfüllt gewesen. Daher hatte ich diese Reise durch eine Landschaft, in der man
Weitere Kostenlose Bücher