Lanze und Rose
Stier. Da er sein Gesicht in Richtung Kamin wandte, bot er mir sein in Sorgenfalten gelegtes Profil.
»Was hattest du mit diesem Mann zu schaffen, Caitlin?«
Sein Ton war immer noch eisig.
»Das war William Gordon«, erklärte ich widerwillig. »Er ist der Kurier des Earl of…«
»Ich weiß sehr wohl, wer dieser Mann ist.«
Er drehte sich zu mir um. Sein Kiefer arbeitete.
»Warum hast du dich in dieser Taverne mit ihm getroffen?«
»Also, du hast mir ja wirklich nachspioniert!«, empörte ich mich heftig.
»Wie ich dir schon sagte, bin ich dir nicht nachgegangen!«
»Warum hast du dich dann nicht gezeigt?«
»Ich wollte euch nicht stören.«
»Du meinst, dass du abwarten wolltest, wie die Zusammenkunft ausgehen würde!«
»Wenn du so willst. Aber nicht aus den Gründen, die du vermutest. Da ich wusste, dass er in Marischals Diensten steht, war ich davon ausgegangen, dass er dir Nachrichten von Patrick bringt. Ich habe darauf gewartet, dass er zum Ende kam, und wollte dich dann ansprechen. Aber offensichtlich habe ich mich geirrt, Mr. Gordon hatte etwas anderes im Sinn.«
»Allerdings.«
Ich sah auf meine von der Kälte roten und rissigen Finger hinunter und begann, mir die Hände zu reiben.
Liam umfasste mein Kinn und zwang mich, zu ihm aufzusehen. Er war bleich wie ein Laken.
»Was versuchst du mir zu erklären, Caitlin?« Seine Stimme klang gepresst vor unterdrückter Wut.
Er ließ mein Kinn los und fuhr zurück, als hätte er sich verbrannt.
»Was für ein Angebot hast du diesem Mann gemacht?«, zischte er.
Seine Worte trafen mich wie eine Ohrfeige.
»Du glaubst…?«, stotterte ich verblüfft. »Das hast du völlig falsch verstanden…«
Ich schlug eine Hand vor den Mund, der vor Schreck offen stehen geblieben war. Liam starrte mich aufgebracht an. Dann explodierte er und reckte die Arme zum Himmel.
»Was habe ich falsch verstanden? Dann sag mir doch, was ich begreifen soll, Caitlin! Primo überrasche ich dich mit meinem Bruder im Bett … Secundo treffe ich dich in einem Lokal von zweifelhaftem Ruf an, mit einem Mann, den du nicht einmal kennst. Meinst du, ich habe nicht bemerkt, wie er dich angesehen
hat? Was im Himmel soll ich denn da glauben? Kannst du mir das sagen?«
Zornig schmetterte er die Faust gegen die Wand, die unter dem Schlag erbebte. Ich fuhr zusammen.
»Liam, beruhige dich…«
Langsam stand ich auf und wollte auf unsicheren Beinen zur Tür zurückweichen. Doch er stürzte sich auf mich, stieß mich gegen die Tür und presste mich mit seinem ganzen Gewicht dagegen.
»Lass mich los, Liam. Du irrst dich, ich kann dir alles erklären…«
Aber er ließ mich nicht weitersprechen, sondern legte den Mund auf meine Lippen und küsste mich brutal. Ich stieß ihn zurück, was seine Leidenschaft aber nur noch verdoppelte. Ich war zutiefst verängstigt, denn ich musste unwillkürlich an jene Nacht in Edinburgh denken, als er mich – nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war und von meinem Handel mit dem infamen Dunning erfahren hatte – vor lauter Wut mit Gewalt genommen hatte.
Es gelang mir, ihn zurückzustoßen, so dass ich mich befreien und ans andere Ende des Zimmers flüchten konnte. Da er erneut zum Angriff überging, wühlte ich unter meinem Rock nach meinem Dolch.
»Mir verweigerst du dich, aber anderen bietest du dich feil«, zischte er erbost. »Was versuchst du damit zu erreichen, Caitlin? Willst du mir mit gleicher Münze herausgeben?«
»Dummkopf, du hast überhaupt nichts begriffen!«, fuhr ich ihn an und zückte meinen Dolch, den ich endlich freibekommen hatte. »Bleib, wo du bist, Liam. Wenn du mich anrührst, dann schwöre ich dir beim Leben unseres Sohnes, dass du mich nie wiedersiehst.«
Angesichts des kalten Stahls, der sich drohend auf ihn richtete, erstarrte er sofort. Sein Blick huschte zwischen dem Dolch und meinem Gesicht hin und her, und es dauerte eine Weile, bis er die Lage erfasst hatte.
»Du wirst mich nie wieder mit Gewalt nehmen, Liam. Nie wieder. Nie wieder wird mir jemand Gewalt antun…«
Er schüttelte den Kopf. Dann verzerrte sich seine Miene, und er sank stöhnend auf die Knie. Mein Herz schlug so heftig, dass mein Schädel davon pochte. Keuchend und erschüttert verharrten wir so einen Moment lang, als wäre die Zeit stehen geblieben. Mein kleiner Dolch, der mir jetzt überflüssig erschien, fiel zu Boden. Liam rührte sich nicht. Niedergeschmettert sah er mich mit leerem Blick an. Ich fühlte mich zwischen
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