Lanze und Rose
habt sie nie wiedergesehen?«
»Nein, niemals.«
Bestürzt über ihr schweres Schicksal musterte ich zerstreut ihre Hände. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es sein würde, sich allein in einem unbekannten Land wiederzufinden.
Selbst war ich zwar von meiner Familie getrennt worden, als ich nach Schottland gekommen war, doch ich hatte immerhin den Trost gehabt, sie nur wenige Meilen von mir entfernt zu wissen.
Ihre Hände befanden sich ständig in Bewegung. Ich betrachtete sie genauer. Sie waren klein und zart. Magische Hände … Wie konnten Hände magisch sein? Meine Neugierde trug den Sieg davon.
»Lucas hat mir erzählt, Eure Hände besäßen magische Kräfte.«
Sie sah sie an, als wären sie auch ihr selbst ein Rätsel.
»Magisch ist ein ziemlich großes Wort. Die Menschen in dieser Gegend sind sehr abergläubisch. Daher behaupten sie gern, ich hätte magische Hände. Von ihrem Standpunkt aus kann es vielleicht gar nicht anders sein. Jemand hat mir einmal gesagt, ich besäße grüne Hände.«
Als sie meine fragende Miene sah, setzte sie noch einige Erklärungen hinzu.
»Ich besitze eine Gabe.«
»Eine Gabe?«
»Ich bin eine Art Heilerin.«
»Und wie stellt Ihr das an?«
Sie lachte und zog die Augenbrauen, die über ihren wunderschönen Augen lagen, hoch.
»Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Der Mann, der mir das gesagt hat, war ein Weiser, dem ich eines Tages in Amesbury begegnet bin. Eine Art Druide, nehme ich an; jedenfalls sah er so aus. Auf meinen Spaziergängen bin ich ihm häufig in der Nähe eines dieser Steinkreise begegnet. Er sah meine Gabe in dem Licht, das aus meinem Körper ausstrahlt.«
Sie lachte.
»Er hat mir erklärt, dieses Licht hülle mich ein, so wie bei den Engeln, die man auf den Malereien in Kirchen sieht. Könnt Ihr es sehen?«
»Ähem… Nein. Nicht wirklich.«
»Ich ebenfalls nicht. Doch was meine Hände angeht, muss ich zugeben, dass er recht hatte.«
Sie runzelte die Stirn, presste die Lippen zusammen und schaute von neuem auf ihre Hände.
»Wunder vermag ich allerdings nicht zu vollbringen.«
Sie verstummte, offensichtlich in Erinnerungen versunken.
»Wie habt Ihr gelernt, Euch ihrer zu bedienen? Ich meine, um andere Menschen zu heilen.«
»Randolf, der Weise«, sagte sie nachdenklich, »besaß dieses Wissen… Seine medizinischen Kenntnisse waren umfassend. Er hat mich gelehrt, die Hände aufzulegen, die Quelle des Übels aufzuspüren und meine Kräfte einzusetzen, um der Krankheit entgegenzuwirken. Er hat mich auch alles über die Heilkraft der Pflanzen gelehrt.«
Mit einer Handbewegung wies sie auf die Regale, die einen großen Teil der Küchenwand einnahmen. Darin befanden sich eine Vielzahl von Gläsern und Stoffsäckchen, die mit Wurzeln, Pilzen und getrockneten Pflanzenteilen gefüllt waren. Doch ich entdeckte nicht die geringste Spur von Fledermausflügeln, Hasenschädeln oder Spinnen, wie man sie für gewöhnlich bei einer Hexe antrifft. Und was da in dem Kessel am Haken brodelte, war eine Suppe aus Schafsinnereien und Bohnen, die mir vorhin sehr gut gemundet hatte.
»Und wie geht es Eurem Kopf?«, erkundigte sie sich.
Ich betastete den Breiumschlag aus zerstampftem Zinnkraut, den sie mir vor einiger Zeit aufgelegt hatte.
»Besser, glaube ich.«
Die Wunde war in der Tat oberflächlich, aber die gewaltige Beule schmerzte. Ich hatte Glück gehabt. Beunruhigt sah ich zu Liam, dessen feuchte Haut im Feuerschein schimmerte. Immer noch hatte er hohes Fieber, und er murmelte in seinem unruhigen Schlaf vor sich hin.
»Ich glaube, er wird es überstehen«, sagte sie, um mich zu beruhigen, denn sie war meinem Blick gefolgt. »Er ist sehr stark, wisst Ihr.«
Beatrix schenkte mir einen begütigenden Blick und legte die Hand auf meine. Ich rechnete damit, dass ich etwas spüren würde, doch nichts geschah. Nur eine sanfte menschliche Wärme ging von ihr aus. Ich war verblüfft.
»Ich habe Paddy gebeten, Dr. Mansholt zu holen«, sprach sie weiter. »Die beiden müssten irgendwann morgen eintreffen.«
Vielleicht war sie ja doch ebenso wenig eine Hexe wie ich!
Am nächsten Tag gegen Mittag stand Paddy strahlend mit einem schönen Stück Hirsch und einem fetten Hasen, der noch warm war, auf der Schwelle der Kate. Begleitet wurde er von einem kleinen, korpulenten Mann, dessen von Müdigkeit schwere Augen freundlich dreinblickten. Als er Beatrix sah, strahlte er über das ganze Gesicht, wobei er ein hervorstehendes Pferdegebiss enthüllte.
»Bea,
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