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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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mit der ganzen Anmut, die ihrer Art eigen ist, davon und sprang elegant über einen auf dem Boden liegenden Baumstamm. Dann verschwand sie in den Wäldern.

    »So!«, meinte Beatrix lächelnd. »Nun habt ihr Flocons Bekanntschaft gemacht. Ihr habt Glück. Für gewöhnlich flieht er Fremde.«
    »Ein prächtiges Tier. Lässt er sich von Euch anfassen?«
    »Als er klein war schon. Doch heute wage ich das nicht mehr. Er akzeptiert meine Gegenwart in seinem Revier und beehrt mich im Austausch für eine kleine Gabe gelegentlich mit der seinen. Das ist alles. Er ist eben ein wildes Tier. Das respektiere ich, und so soll es auch bleiben.«
    Wir standen noch ein Weilchen da und betrachteten die Natur um uns herum, die unter ihrem winterlichen Mantel schlummerte. Als Beatrix erneut das Wort ergriff, klang sie ernster.
    »Hat Dr. Mansholt Euch erzählt, warum ich hier lebe?«
    Meine Miene war ihr Antwort genug. Sie schob mich nach drinnen, und wir setzten uns an den Tisch, um die Zwiebeln zu schälen und den Hasen zu zerteilen. Ich übernahm die Zwiebeln.
    »Er hat mir in gewisser Weise das Leben gerettet«, begann sie und ergriff ein spitzes Messer. »Hier nennen die Leute mich die ›Hexe‹, und für sie drückt dieser Beiname Achtung aus. Aber in Cardiff war das etwas anderes. Zu jener Zeit stand ich beim Landvogt eines nahe gelegenen Marktfleckens in Diensten.«
    Ihr Blick wurde träumerisch, und das Messer hing über dem Gelenk einer Keule in der Luft.
    »Daniel Morgan war sehr schön… Ich hatte mich in ihn verliebt. Doch er war seit kurzem mit der Cousine von Mr. Wilson verheiratet, meinem ersten Dienstherren.«
    Energisch fuhr das Messer in das Fleisch des Nagetiers.
    »Diese Frau war wahrhaftig eine Xanthippe!«, brummte sie und drehte die Keule, um sie aus dem Gelenk zu lösen. »Ich bin zwei Jahre in ihrem Dienst geblieben.«
    Das Gelenk gab nach. Zerstreut betrachtete sie den Schenkel, den sie in der linken Hand hielt. Dann warf sie ihn in den Kessel und ging auf den zweiten los.
    »Habe ich Euch von Mrs. Wilsons Krankheit erzählt?«
    »Ein wenig, ja.«
    »Aber ich habe Euch noch nicht berichtet, dass ich versucht habe, sie zu heilen, oder?«

    »Nein…«
    Sie seufzte. Die zweite Hasenkeule wanderte in den Topf.
    »Ich habe sie sehr geliebt. Sie war wie eine Mutter zu meiner Schwester und mir. Vielleicht lag es daran, dass sie keine Kinder hatte … Die Krankheit traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Innerhalb weniger Wochen verschlechterte ihr Befinden sich zusehends. Eines Tages sagte ich mir, dass ich versuchen müsste, ihr zu helfen. Also habe ich es versucht, doch ohne Erfolg. Versteht Ihr, ich bin keine Wundertäterin. Heilen kann ich nur im Rahmen des Möglichen. Wenn der Kranke keinen Lebenswillen mehr besitzt, oder wenn das Übel, das ihn quält, schon zu großen Schaden angerichtet hat, kann ich nichts tun. In ihrem Fall war die Krankheit schon zu weit fortgeschritten.«
    »Wusste Mrs. Wilson, was Ihr tatet?«
    »Schwer zu sagen. Die meiste Zeit war sie in einer tiefen Lethargie versunken. Doch einmal hat ihre Schwester Madelyn mich ertappt. Sie hat während einer ganzen Sitzung hinter mir gestanden, verdeckt durch eine angelehnte Tür. Dann, als Mrs. Wilson starb, hat sie mich beschuldigt, einen Fluch über sie geworfen zu haben. Natürlich wollte Mr. Wilson von diesen, wie er sagte, ›Eseleien‹ nichts hören. Aber Madelyne, die mich, wer weiß warum, nicht leiden konnte, hat Daniels Frau von ihren ›Erkenntnissen‹ berichtet. Und als diese bemerkte, dass ihr Gatte meine zarten Gefühle erwiderte, begann sie das Gerücht in die Welt zu setzen, ich ließe ihre Milch sauer werden. Sie tat heimlich Essig in den Vorrat in der Milchkammer und schickte eines ihrer Hausmädchen, sie zu holen. Die dumme Gans! Sie verdarb mit Absicht eine große Menge guter Milch, um ihre Vorwürfe zu untermauern. Dann erzählte sie, ich gäbe einen Liebestrank in den Wein ihres Mannes, damit er mir verfalle.«
    Mit der flachen Hand schlug sie auf die stumpfe Seite des Messers und trennte den Rumpf des Tieres durch.
    »Mit Letzterem befand sie sich nicht ganz im Unrecht, auch wenn ich dazu keines Zaubertranks bedurfte. Daniel und ich waren ein Paar«, gestand sie betrübt. »Wir haben uns wirklich geliebt. Im Übrigen habe ich nicht die geringste Ahnung, wie man einen Liebestrank bereitet.«

    Einen Moment lang schloss sie die Augen, und ihre Wangen röteten sich; zweifellos bei dem Gedanken an ihre verlorene Liebe.

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