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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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Herz stehen.
    »Oh nein… Liam!«
    Ich stürzte nach drinnen, wobei ich Beatrix fast umwarf, und blieb sprachlos am Fuße des Strohsacks zu stehen. Liam ruhte auf einem trockenen Laken und war bis zur Taille mit einem anderen zugedeckt. Er war leichenblass. Zitternd, zögerlich kauerte ich mich neben ihm nieder. War er tot? Dann sah ich, wie seine Brust sich leise hob und senkte. Mir war, als finge auch mein eigenes Herz erst jetzt wieder zu schlagen an. Ich streichelte seine durch die Krankheit eingefallenen Wangen; die Haut
fühlte sich trocken und kühl an. Das Fieber war beträchtlich gesunken. Ich konnte es kaum glauben. Die Krise war erst einmal vorüber, doch die Nacht war noch nicht zu Ende. Wenigstens hatte ich jetzt wieder ein wenig Hoffnung.
    »Liam, mo rùin «, flüsterte ich leise. »Vergib mir, so wie ich dir vergebe. Ich liebe dich so sehr …«
    Eng an ihn geschmiegt, schlief ich in dieser Nacht auf dem Strohsack und lauschte seinem Atem, der noch ein wenig rasselte, aber leichter und regelmäßiger ging.

    Bei Tagesanbruch wartete das Glück auf mich. Ich spürte, wie etwas über meine Wange strich, schlug die Augen auf und begegnete Liams Blick. Er war müde, schwach und abgezehrt, aber durchaus am Leben. Konnte man das als Wunder bezeichnen? Was war geschehen? Hatten Beatrix’ Hände das vollbracht? Ich schloss die Augen, um eine Freudenträne zu unterdrücken. Doch dann rollte eine weitere über meine Wange, und noch eine. Ich vermochte mich nicht mehr zurückzuhalten und begann zu weinen. Die Tränen befreiten mich von all meinem Schmerz und reinigten mich von allem meinem Groll. Ich fragte mich, wem ich dafür zu danken hatte; und ich sagte mir, dass Gott der Urheber sein musste; selbst wenn Er ein wenig magische Unterstützung gebraucht hatte. Er gab uns eine zweite Chance. Denn schließlich war Er es doch gewesen, der Beatrix ihre Gabe geschenkt hatte, oder?
    Mit großem Bedauern verabschiedete ich mich von Dr. Mansholt, den Paddy am Vormittag abholen kam.
    »Sprecht zu Ihm, meine teure Caitlin. Er wird Euch anhören. Wenn Ihr Ihm euer Herz öffnet, werdet Ihr Ihn auch hören. Vergesst die Worte des Apostels Johannes nicht.«
    Er küsste mich auf die Wangen und wandte sich dann an Beatrix. Sie hatte bereits begonnen, ein dickes, rundes Huhn zu rupfen, ein Geschenk von Paddy natürlich.
    »Bleib ein braves Mädchen, meine kleine Bea. Und füttere diese beiden dort gut«, setzte er lachend hinzu. »Sie müssen ein wenig Fleisch auf die Rippen bekommen.«
    »Keine Sorge, dafür sorge ich schon.«

    Die nächsten drei Tage verbrachte ich damit, Liam aufzupäppeln. Zu Beginn sträubte sein Magen sich ein wenig, so dass ich die Mengen gut dosieren musste. Doch von Tag zu Tag vermochte er mehr Nahrung bei sich zu behalten. Sein Blick wurde klarer, seine Haut rosiger. Am vierten Tag konnte er aufstehen und, auf meinen Arm gestützt, ein paar Schritte vor die Tür gehen. Am sechsten Tag verlangte er, Colins Grab zu sehen. Das war wohl unvermeidlich gewesen.
    »Der Weg ist viel zu weit!«, rief ich energisch.
    Ich wusste, dass er durchaus kräftig genug war, um auf den Hügel zu steigen; doch ich fürchtete, die Erkenntnis, dass Colin wirklich tot war, könnte ihn schwer treffen und seine Genesung verzögern.
    »Caitlin, wenn du mir nicht zeigst, wo das Grab liegt, dann schwöre ich dir, dass ich allein versuchen werde, es zu finden. Ich fühle mich schon viel besser, ganz bestimmt.«
    »Das ist zu gefährlich, du bist noch schwach.«
    Der Blick, den er mit zuwarf, verbot mir jeden weiteren Widerstand. Ich kapitulierte und bat Beatrix, uns den Weg zu beschreiben.

    Einige Schritte von ihm entfernt wartete ich schweigend und beobachtete ihn verstohlen. Er saß auf einem kleinen, verschneiten Erdhügel und betrachtete mit leerem Blick das Steingrab, unter dem sein Bruder ruhte. Er wirkte ruhig. Seine Locken schimmerten in der Sonne, und er weinte schweigend. Ich wollte sein Bedürfnis, allein zu sein, achten; daher entfernte ich mich und ging zum Rand des Hügelgrats.
    Wir waren nun seit mehr als einer Woche hier. Uns lief die Zeit davon. Dank seiner kräftigen Konstitution erholte Liam sich rasch von seiner Krankheit. Sein Appetit war zurückgekehrt. Vielleicht war es an der Zeit, uns wieder auf dem Weg zu machen. Wir hatten Beatrix’ Gastfreundschaft und Güte zur Genüge strapaziert. Doch sie klagte niemals, obwohl wir ihr sicherlich ein wenig zur Last fielen. Vielleicht morgen …
    Ich hatte das

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