Lanze und Rose
nicht zu Ende, sondern drückte mich noch einmal an sein Herz. So blieben wir lange stehen. Dann lösten wir uns ein wenig voneinander.
»Oh!«, stieß ich hervor, als ich die Narbe erblickte, die ihn entstellte.
Ich fuhr mit den Fingern darüber und spürte, wie sein Kiefer sich verspannte.
»Es ist nichts, Mutter. Nur ein Kratzer.«
»Ein Kratzer? Aber man hat dir um ein Haar das halbe Gesicht weggeschlagen!«
»Es hätte schlimmer kommen können…«
Als ich seinen traurigen Blick sah, sagte ich nichts weiter. Er lebte, war das nicht genug? Ich trat noch ein Stück zurück, um ihn ganz in Augenschein zu nehmen.
»Es ist wahr, du scheinst bei guter Gesundheit zu sein. Hat sich etwa jemand darum gekümmert, dir den Magen zu füllen?«
Eine verhaltene Bewegung hinter ihm zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Duncan hatte es auch bemerkt und wandte sich um. Die junge Frau mit der feuerroten Mähne, die ich zuerst gesehen hatte, lächelte mir schüchtern zu. Merkwürdig, sie erinnerte mich an jemanden. Ihre herrlichen blauen Augen blickten zwischen mir und Duncan hin und her.
»Mutter, ich möchte dir Marion vorstellen.«
Vor Verblüffung blieb mir der Mund offen stehen. Marion? Glenlyons Tochter, in die mein Sohn sich vernarrt hatte…
»Guten Tag«, stammelte sie, sichtlich verunsichert angesichts meiner verblüfften Miene.
Ich klappte meinen Mund wieder zu und setzte ein Lächeln auf, das begütigend wirken sollte.
»Guten Tag.«
Ein verlegenes Schweigen trat ein. Duncan spürte das allgemeine Unbehagen und hielt es für angebracht, die Dinge von Anfang an klarzustellen.
»Sie ist meine Frau, Mutter.«
»Deine … Frau?«, stotterte ich wie vom Donner gerührt.
Er hatte sich ziemlich kurz und bündig ausgedrückt. Was mochte aus Elspeth geworden sein? Wie hatte er ihr das erklärt? Vor Marion mochte ich ihn allerdings nicht danach fragen. Doch jetzt wusste ich wieder, an wen sie mich erinnerte! Meghan! Groß, schmal, katzenhaft. Doch in ihrem Blick lag nichts von der Kälte, die Meghan Hendersons smaragdgrüne Augen ausgestrahlt hatte, und ihre Züge waren … weniger zart, ausdrucksstärker, aber sehr angenehm anzusehen. Besonders, wenn sie lächelte.
Ihr voller Mund verzog sich zu einem freundlichen Lächeln. Sie drückte mir herzlich die Hand und hängte sich dann an Duncans Arm. Mein Sohn war verheiratet… mit der Tochter des Laird von Glenlyon! Ob Liam davon wusste? In diesem Moment spürte ich, wie seine große Hand sich um meine Schulter schloss. Dann umarmten Vater und Sohn einander ebenfalls herzlich.
Das Wiedersehen verlief freudig und unter großem Gelächter. Donald erzählte von seinen Abenteuern nach dem Angriff der Dragoner und seiner überstürzten Rückkehr nach Perth.
»Wie ist es euch gelungen, auf unsere Spur zu kommen?«
»Donald wusste noch ungefähr, wo die Attacke stattgefunden hatte«, erklärte mein Sohn. »Dort haben wir angefangen, die Gegend durchkämmt und den Einwohnern Fragen gestellt. Nach mehreren Tagen hatten wir immer noch keine Spur und dachten schon, ihr wäret auf dem Weg nach Inverness. Wir wollten uns schon dorthin wenden, als ein Mann uns versicherte, er hätte ein paar Männer mit schwer beladenen Pferden gesehen, die hierher unterwegs waren. Und dann sind wir dieser charmanten Dame begegnet«, sagte er und wies auf Beatrix, die von den anderen Männern ohne Unterlass beäugt wurde.
»Ja, ich stelle euch Beatrix Becket vor. Sie hat sich um uns gekümmert und deinen Vater gepflegt«, erklärte ich und trat zu ihr. »Wir werden ihr ewig dankbar sein.«
»Vater war verwundet?«
»Ich war krank«, erläuterte Liam. »Aber jetzt geht es mir besser.«
Duncan reckte den Hals und sah sich um; offenbar suchte er jemanden oder etwas. Seine Miene verdüsterte sich.
»Und Onkel Colin?«
Bis jetzt hatte noch niemand nach ihm gefragt. Aber ich hatte schon bemerkt, dass die Männer diskrete Blicke an uns vorbei geworfen hatten. Liam schüttelte langsam den Kopf. Ein raues Stöhnen entrang sich Duncans Kehle.
»Verflucht und verdammt!«
Donald, der sicherlich schon vermutet hatte, dass die Geschichte für Colin schlecht ausgegangen war, trat näher.
»Ist er in Gefangenschaft geraten?«
»Nein. Er ist gleich nach dem Beginn des Angriffs erschossen worden.«
»Das … das tut mir leid, Liam. Wo ist er begraben?«
»Auf dem Hügelkamm.«
Liam zeigte ihm den Weg, der dorthin führte. Er selbst weigerte sich, noch einmal auf den Hügel zurückzukehren; der
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