Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
Vom Netzwerk:
mir einen sorgenvollen Blick zu, stieg ab und trat auf sie zu.
    »Mein Gott«, murmelte Duncan Marion zu, die offenbar entsetzt über den Dreck und die Armut war, »ich frage mich wirklich, in welchem Zustand wir sie wiederfinden werden.«
    Die Frau musste seine Stimme gehört haben. Sie schlug zuerst ein milchiges, blindes Auge auf und dann das zweite, das ein schönes Bronzegrün aufwies. Dann zog sie eine Augenbraue hoch, richtete sich auf und musterte uns misstrauisch. Liam blieb einige Schritte vor ihr stehen.
    »Seid Ihr Janet Simpson?«
    »Und wer seid Ihr?«
    »Wir sind auf der Suche nach Frances Macdonald.«
    Die Einäugige sah uns einen nach dem anderen ausdruckslos an.
    »Reverend Chisholm schickt uns…«

    »Ah! Der gute Pastor!«, krächzte sie und enthüllte einen zahnlosen Mund.
    Sie bedeutete uns, ihr zu folgen, wandte uns ihren buckligen Rücken zu und humpelte in die Hütte. Ich folgte Liam nach drinnen. Der durchdringende Gestank nach Rauch und Urin schnürte mir die Kehle zu. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen; dann sah ich mich in dem Raum um.
    Ein unbeschreibliches Durcheinander herrschte. Auf einer Bank lag ein großer Haufen schmutziger Kleidungsstücke. Zwei alte, rostige Schwerter hingen an der Wand. Auf einem Regalbrett lag sorgfältig aufgereiht eine Vielzahl von kleinen Gold- und Silberknöpfen neben Broschen und Wappen unterschiedlicher Highlander-Clans. Ein zerrissener und grob geflickter roter Uniformrock hing über einer alten, lederbezogenen Truhe, deren Schloss aufgebrochen war.
    Mit einem Fußtritt verscheuchte die Alte ein dickes Huhn, das es sich auf einem Stapel Torfsoden gemütlich gemacht hatte.
    »Seid Ihr ihr Vater?«, fragte sie, während sie in den hinteren Teil des Raums voranging. Dort stand ein schmales, mit einem Haufen alter Tartans zugedecktes Bett. Liam spähte mit zusammengezogenen Augen ins Halbdunkel.
    »Ja.«
    »Das arme Mädchen! Seit sie die Hinrichtung ihres Mannes mit angesehen hat, spricht sie nicht mehr.«
    »Mein Gott!«, stieß ich leise hervor und schloss die Augen.
    »Ich habe versucht, sie davon abzubringen«, fuhr sie fort. »Aber sie hat darauf bestanden. Sie ist stur wie ein Esel.«
    Sie zuckte die Achseln und sah uns zerknirscht an. Vorsichtig entfernte sie die aufeinandergetürmten Tartans. Die Stoffe rutschten zu Boden und enthüllten verfilztes, glanzloses rotbraunes Haar.
    »Frances!«, schrie ich auf.
    Ich stürzte zu meiner Tochter, die sich langsam regte und auf den Rücken drehte. Ihre halb geöffneten Augen wirkten ausdruckslos. Ich strich ihr das Haar aus dem Gesicht und flüsterte ihr zärtliche Worte zu. Frances war totenbleich. Tiefe Schatten
lagen unter ihren Augen, und sie sah mich an, ohne mich zu erkennen. Frances, was haben sie bloß mit dir gemacht? Liam beugte sich über meine Schulter und streichelte ihre Wange.
    Unsere Worte mussten einen Weg in ihren umnebelten Geist gefunden haben. Sie zog die Augen zusammen und versuchte sich aufzurichten.
    »Mamaidh ?« Mama?
    Ich war so aufgewühlt, dass meine Kehle sich wie zugeschnürt anfühlte und ich ihr nicht zu antworten vermochte. Stattdessen nahm ich ihre Hand und drückte sie zärtlich.
    »Wir sind gekommen, um dich zu holen«, sagte Liam mit zitternder Stimme.
    »Aber es ist zu spät… zu spät, Vater.«
    Ihre raue Stimme versagte, und sie brach in Tränen aus.
    »Ich weiß«, sagte ich niedergedrückt. »Ich weiß, Frances.«
    »Sie … sie haben ihn aufgehängt, Mutter. Sie haben meinen Trevor aufgehängt…«
    Ich wusste, dass Worte hier müßig waren. Nur die Zeit konnte diese noch offene Wunde heilen. Liam wickelte sie in seinen Umhang, hob sie hoch und trug sie hinaus. Janet zupfte an meinem Ärmel. Sie hielt mir ein Plaid in den Farben der Macdonalds hin, das aber nach dem sett 45 von Dalness gewebt war.
    »Das hat ihrem Mann gehört«, erklärte sie. »Ich habe es ihm abgenommen, nachdem sie ihn in die Grube geworfen hatten. Sein Barett und sein Wappen habe ich ebenfalls.«
    »Danke… für alles.«
    Ich wühlte in meinen Taschen, zog alle Münzen, die noch darin waren, hervor und reichte sie ihr. Zögernd blickte sie auf das Geld, doch dann entschied sie sich, es anzunehmen und setzte ein breites Lächeln auf, mit dem sie plötzlich einem Wasserspeier ähnelte.
    »Wahrscheinlich hat Gott nichts dagegen, wenn ich eine kleine Entschädigung annehme«, murmelte sie und ließ die Münzen in den Falten ihres Rocks aus grobem

Weitere Kostenlose Bücher