Lanze und Rose
ließ ihn seinen Stolz im Whisky ertränken und trat zu Liam, der Sàras Werk in Augenschein nahm.
»Und?«
»Was hältst du davon?«, fragte er und reichte mir das Schreiben.
Rasch überflog ich das Blatt. Es besagte, der schottische Thronprätendent werde sich unverzüglich nach Dunnottar Castle begeben, wo ihn ein Boot erwartete, das ihn zu einem der französischen Schiffe bringen würde, die Dundee verlassen hatten. Die Überbringerin der Botschaft sei eine Nichte des Duke – was, nebenbei erwähnt, gar nicht falsch war –, und die Männer sollten ihr begegnen, als wäre sie der Duke selbst.
Der letzten Anweisung gegenüber war ich etwas skeptisch. Dazu hätte man wissen müssen, wie genau diese Halsabschneider mit dem Duke umgesprungen wären. Alles in allem passte die Geschichte zusammen und erschien mir glaubhaft. Aber würde die List auch funktionieren?
Unsere Vorstellung war, die Söldner auf das Gelände der Festung zu locken. Das dürfte nicht allzu schwierig werden; wir würden dem Schreiben eine Karte mit dem Siegel der Keiths beilegen, die sie in Dunnottar dem Wachposten zeigen sollten; die Männer sollten sich als Kundschafter vorstellen, die vor der Ankunft des Prinzen das Gelände inspizieren sollten. Der Rest müsste für Männer ihres Schlages ein Kinderspiel sein. Jedenfalls beinahe …
»Ich glaube, jetzt habe ich es ungefähr«, murmelte Marion und betrachtete das Ergebnis ihrer Bemühungen. »Ganz sicher bin ich mir allerdings nicht, ob ich die Ähnlichkeit hinbekommen habe.«
Sie runzelte die schmalen Brauen, kniff die Augen zusammen und zog eine Grimasse.
»Hmmm… Ich weiß nicht…«
Sie befeuchtete einen Finger und tippte vorsichtig auf ihre Zeichnung.
»Was machst du denn da?«, fragte ich verblüfft.
»Ein … kleiner Unfall. So! Jetzt ist es besser«, rief sie aus und betrachtete das leicht verwischte Zeichen. »So fallen die Unterschiede, wenn es welche gibt, weniger ins Auge.«
Ich lächelte über ihre Findigkeit.
»Was meinst du dazu, Duncan? … Oh!«
Ich folgte Marions verblüfftem Blick. Mein Sohn hatte das Plaid von Glenlyon angelegt und die Brosche der Campbells darangesteckt. Er lehnte an der Wand, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah uns mit kläglicher Miene an.
»Enthaltet euch jeden Kommentars, bitte…«
Die Schatten wurden länger und maßen die Zeit, die unerbittlich verstrich. Dumpfe Furcht wühlte in meinen Eingeweiden und begann, Zweifel in mir zu säen. In meinem Kopf überschlugen sich tausend Fragen. Und wenn…? War vielleicht…? Oder…? Liam war vor über einer Stunde nach Dunnottar aufgebrochen. Duncan und Marion hatten sich, begleitet von zwei Männern, die mit dem Hause Keith verbunden waren, auf den Weg zur Herberge von Stonehaven gemacht.
Ich betrachtete die kleinen glitzernden Punkte, mit denen die Tischplatte aus italienischem Marmor gesprenkelt war. Hinter den Grampians-Bergen ging die Sonne unter; und ihre Strahlen, welche die Kristallgläser zum Glitzern brachten, wurden rasch schwächer.
Sàra reichte mir einen Pokal mit Claret-Wein. Mit sorgenvoll gerunzelter Stirn setzte sie sich in den Sessel, der mir gegenüber stand, und seufzte. Ich holte tief Luft und nippte an der blutroten Flüssigkeit.
»Alles wird gutgehen«, meinte Sàra.
Ich fragte mich, wen von uns beiden sie damit mehr überzeugen wollte. Mein Blick fiel auf einen Vogelbauer, der in der Nähe eines Fensters stand. Die kleine Nachtigall, die auf einem Birkenzweig saß, war verstummt und putzte sich jetzt die Flügel. Ich versuchte, mich in die Toilette des Vogels zu vertiefen, um mich abzulenken – doch erfolglos. Die düstere Silhouette von Dunnottar stand vor meinem inneren Auge und bedrückte mich.
Die Festungsanlage war ein beeindruckendes Bauwerk. Sie war auf einem alten piktischen Heiligtum errichtet und erhob sich auf dem Hochplateau einer einzigartigen Halbinsel, deren Boden derart mit Kieseln und Felsbrocken durchsetzt war, dass man sie den »Pudding« 47 nannte. Das aus Stein erbaute Tower House stammte aus dem 14. Jahrhundert und war von Sir William Keith erbaut worden, Earl of Marischal und Hüter des schottischen Kronschatzes. Er hatte die Ruinen der alten Holzfestung ersetzt, die der berühmte Freiheitskämpfer William Wallace eingenommen hatte. Dieser Mann, der den festen Vorsatz hegte, Schottland zu befreien, hatte 1297 an der Spitze mehrerer Clans, die gegen den englischen König Eward I. rebellierten, die Garnison niedergebrannt,
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