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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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ich habe es vorgezogen, George zu glauben. Es fällt leichter, jemanden zu hassen, der uns verletzt hat, als zu versuchen, ihn zu verstehen… Nicht wahr, Caitlin Dunn?«
    Mit diesen Worten gab er mich schroff frei, setzte sich vor mir auf die Hacken und stützte die Arme auf die gebeugten Knie. Ich betrachtete ihn mit ganz anderen Augen, und eine unbeschreibliche Mischung von Schmerz und Entsetzen stieg in mir auf. William stieß mir grob das Taschentuch in den Mund und befestigte es mit einer Schnur, die er in meinem Nacken fest verknotete. Dann ging er hinaus und schloss die Tür hinter sich.
    Einen Moment lang blieb ich schreckensstarr zurück. Mein Verstand und mein Herz wollten einfach nicht verstehen, mochten sich den Tatsachen nicht beugen. … nur zu gern alles Mögliche vergessen … Mit einem Mal gewannen seine Worte einen anderen Sinn.
    Verschwommene Erinnerungen stiegen in mir auf. Wie hätte ich so etwas vergessen können? Die Schmerzensschreie einer Frau, deren Eingeweide sich umstülpten. Die Rufe der Hebamme, die sie zum Pressen drängt. Der Wind, der einen Fensterladen unablässig schlagen lässt. Becky, die im Zimmer auf und ab geht und für die Frau und ihr Kind, das nicht auf die Welt kommen will, betet. Warum schließt sie dieses verfluchte Fenster nicht? War ich bei dieser Szene des ersten Aktes unbeteiligt gewesen? War ich Zeugin gewesen, oder hatte ich die Hauptrolle gespielt? Ich vermutete, dass ich bald den letzten Akt dieser traurigen Komödie spielen würde …
    Ich atmete schwer und krallte mich an dem hölzernen Bootsrumpf fest. Die abblätternde Farbe drang unter meine Fingernägel. Ein jäher, widersinniger Drang zu lachen stieg in meiner Brust auf, blieb jedoch dort stecken. Nur ein Schluchzen entrang sich meiner Kehle. Nein, das war nicht möglich! Was für eine widersinnige Situation!

    Der Tag neigte sich dem Ende zu, und die untergehende Sonne überzog den Himmel mit lachsrosa-, amethystfarbenen und magentaroten Streifen, die ein schillerndes Licht auf die weiß gekalkten Hauswände von Montrose warfen. Dumpfes Raunen, das in den Gassen widerhallte, drang bis zu dem kleinen Alkoven, in den sie die Männer aus Glencoe zurückgezogen hatten. Die jakobitische Armee, die in dem kleinen Städtchen lagerte, scharrte vor Ungeduld mit den Füßen. Die Soldaten hatten die drei französischen Schiffe gesichtet, die vor der Küste ankerten, und die Gerüchte über die bevorstehende Abreise des Prinzen hatten eine Woge der Unzufriedenheit hervorgerufen.
    Man stand kurz davor, die Truppen nach Aberdeen in Marsch zu setzen. James Edwards Ratgeber hatten es für besser gehalten, sie weiter aufwärts an der Küste biwakieren zu lassen. Die Ankündigung der Verlegung würde das Misstrauen dämpfen und den Unmut der Männer zerstreuen. Man würde ihnen vorgaukeln, der Prätendent würde ihnen wenig später folgen, sobald er etwas gegessen und sich ausgeruht hatte. Um die Spiegelfechterei auf die Spitze zu treiben, hatte man sogar das für einen sofortigen Aufbruch gerüstete Reittier des Prinzen vor der Tür des Hauses angebunden, in dem er mit seiner Leibwache Quartier genommen hatte.
    Alasdair Og sah Liam ernst an. Sein Kiefer zuckte, und seine Finger fuhren durch sein schlohweißes Haar und glätteten es mechanisch. Dann setzte er sein Barett wieder auf.
    »Weißt du auch ganz genau, was du da vorschlägst?«
    Liam nickte.
    »Patrick hat gestern die Bestätigung erhalten.«
    Ein Kavallerie-Offizier überquerte Befehle brüllend die Straße, zu der ihr Fenster hinausging, und lenkte sie kurzzeitig ab. Liam erstickte in dem kleinen, verrauchten Raum, doch nicht der Mangel an Luft raubte ihm den Atem. Er wusste, dass Caitlin sich irgendwo in dieser Stadt befand, in den Händen eines Meuchelmörders, und er konnte im Moment nichts unternehmen. Er nahm noch einen Schluck Whisky und fuhr mit düsterer Stimme fort:
    »Der Prätendent wird nicht länger in Schottland bleiben, Sandy. Die Schiffe, die die Männer vor der Küste gesehen haben,
werden ihn und sein Gefolge an Bord nehmen und über die Nordsee zum Kontinent bringen.«
    In der kleinen Gruppe von Männern, die sich in dem engen Raum drängten, kam Unruhe auf: Stoff raschelte, Waffen klirrten und verärgertes Murren kam auf. Dies war das Ende eines Traumes; das Ende eines Traums von einem Vaterland, das für seine Rechte und seine Freiheit stritt. Die Enttäuschung war umso grausamer, da sie zu Beginn des Aufstandes so große Hoffnungen gehegt

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