Lanze und Rose
würde, sich ihrer zu bedienen, falls sie das Bedürfnis danach spürte. Dennoch hatte er sich nicht bezähmen können und sie provoziert. Panik leuchtete in Marions Blick auf.
»Das würdest du nicht wagen …«, murmelte sie mit zitternden Lippen. »Willst du wirklich, dass ich bereue, dir mein Vertrauen geschenkt zu haben?«
»Und wenn du dich geirrt hättest, Marion? Schließlich bin ich nur ein dreckiger, skrupelloser Dieb.«
Ihre leuchtenden Augen schlossen sich zur Hälfte, und Duncan überlief ein leiser Schauer.
»Wenn ich nun Lust hätte, dort weiterzumachen, wo wir das erste Mal aufgehört haben, auf der Heide von Glenlyon?«
Eine Abfolge verschiedener Empfindungen malte sich auf Marions Zügen. Duncan betrachtete sie unter halb geschlossenen Augenlidern. Sie zu necken, bereitete ihm ein unnatürliches Vergnügen. Dieser Drang war stärker als er. Dennoch war sie eine Campbell, und dazu noch aus Glenlyon. Das durfte er niemals vergessen, so anziehend er sie auch fand. Denn dieses rein fleischliche Begehren, das er empfand und das ihn quälte, seit er ihr zum ersten Mal in die Augen gesehen hatte, würde wahrscheinlich niemals gestillt werden, und das verdross ihn. Er spürte das Verlangen, ihr Angst zu machen, sie an Körper und Seele leiden zu lassen, genauso, wie er augenblicklich litt. Auch er vermochte sie zu verletzen. Welch ein köstlicher Krieg! Auch Marion würde nicht unbeschadet davonkommen, dachte er grausam. Wenn er sein körperliches Begehren nicht an ihr stillen
konnte, dann würde er sein Vergnügen eben auf andere Weise finden.
»Du bist mir ausgeliefert, Marion Campbell«, versetzte er ironisch. »Ich kann mit dir tun, was ich will; und wenn ich den Wunsch habe, dich zu nehmen, dann werde ich es tun.« Die scharfe Spitze des Sgian dhu hob sich und richtete sich zitternd auf ihn.
»Wenn du mich anrührst, töte ich dich …«
Von neuem hallte Duncans Lachen von den feuchten Wänden der Höhle wider, und die junge Frau bekam eine Gänsehaut.
»Ja, vielleicht würdest du das tun. Aber im Moment frage ich mich noch, ob du überhaupt der Mühe wert bist.«
Angesichts der kaum verhüllten Beleidigung presste sie die Lippen zusammen und reckte die Schultern.
»Ausgenommen, du gibst mir die Möglichkeit, mir ein Urteil darüber zu bilden …«
»Fahr zur Hölle, Bastard! Da kannst du lange warten«, rief sie gereizt und rollte sich in die Decke.
Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. Es war Zeit, die Waffen niederzulegen … für den Moment. Duncan streckte sich auf dem steinigen, kalten Boden aus und deckte sich mit seinem noch feuchten Plaid zu. Hinter der Barriere aus Flammen war Marions ängstliches Gesicht nicht mehr zu sehen.
»Wir sollten jetzt schlafen«, versetzte er gut aufgelegt.
Sie gab keine Antwort. Lange Minuten verstrichen, in denen nur das Knistern des Feuers und der unheimliche Ruf einer Eule zu hören waren. Dann ließ sich ein Rascheln von Stoff vernehmen.
»Gib mir dein Ehrenwort darauf, Macdonald.«
»Mein Wort allein reicht dir?«
»Du bist ein richtiges Schwein.«
»Ich weiß.«
Er schloss erneut die Augen und lächelte zufrieden.
5
Ausritt mit den Macgregors
Marion, die unausstehlich gelaunt war, schimpfte und fluchte ohne Unterlass über alles und nichts. Sie sah zu der blassen, hellen Scheibe auf, die verzweifelt versuchte, den dichten Nebelschleier zu durchdringen, der sich partout nicht heben wollte und die Luft noch feuchter machte. Die Pferde wateten durch dicken, klebrigen Schlamm. Jedes Mal, wenn sie die Hufe aus der glitschigen Masse zogen, hörte man ein schlürfendes Geräusch, das wie ein Abschiedskuss dieses feindlichen Bodens klang.
Die Nacht war lang gewesen, sehr lang. Der Schlaf hatte die junge Frau berührt, hatte sie verspottet und war doch jedes Mal wieder geflohen, wenn ihr einfiel, dass die Gefahr so nahe war. Daher hatte sie während der Nacht praktisch kein Auge geschlossen.
Der Grund für ihre Schlaflosigkeit ritt vor ihr her und hatte sich bisher nur ein paarmal umgedreht, um sich zu vergewissern, dass sie ihm immer noch folgte. Es wäre so einfach gewesen, ihn zurückzulassen und nach Chesthill zu reiten. Doch das konnte sie nicht. Breadalbane hatte sie mit einer Mission betraut, und sie musste ihm von Angesicht zu Angesicht Bericht erstatten. Die Nachrichten, die sie brachte, waren zu kompromittierend für die Betroffenen, und niemand legte Wert darauf, sich wegen Hochverrats gegen König George mit dem Kopf auf
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