Lanze und Rose
geknirscht war. Von da an hatte sie sich erneut unnahbar verhalten.
Sanft legte er die Hand auf ihren Hinterkopf und verflocht seine Finger mit ihren Locken. Ihr Gesicht lag an seinem Hemd, und er spürte ihren warmen Atem auf seiner Brust. Nicht …, sagte er sich. Marion erzitterte.
Sie schüttelte den Kopf und sah zu ihm auf. Ihre Blicke suchten und fanden einander.
»Mir war kalt… Vorhin. Ich … wollte dich nicht stören. Ich kann wieder an meinem Platz …«
»Du hast mich nicht gestört«, beeilte er sich zu versichern und hielt sie an sich gedrückt.
Natürlich war das eine Lüge, denn die Wahrheit war, dass sie ihn ganz außergewöhnlich aufgestört hatte, viel mehr, als ihm das recht war. Sie hatte Empfindungen in ihm erweckt, die sein Herz zusammenpressten wie ein Schraubstock. Er verfluchte den Tag, an dem er auf der Heide von Glenlyon gewesen war und sie verfolgt hatte. Er verfluchte den Kuss, den er ihr geraubt hatte. Er verfluchte sie selbst, weil sie ihm ein zweites Mal über den Weg gelaufen war. Und er verfluchte das Schicksal, das ihn dazu verdammte, die Hölle auf Erden zu durchleben, weil er ihr nicht widerstehen konnte. Um ihretwillen verlor er sich, doch ihm wurde klar, dass er zugleich ohne sie verloren wäre.
Er verspürte nur noch einen einzigen Wunsch: diese Frau, die ihm verboten war, unter sich zu begraben, sich ihres Mundes zu bemächtigen und sich in ihr zu verlieren. Doch er hütete sich wohlweislich, obwohl ihm das furchtbar schwer fiel. Er musste sein Begehren, sie zu verführen, zügeln, denn damit würde er alles nur noch schlimmer machen. Marion liebte seinen Clan nicht, und er konnte sie verstehen.… Bewahre sie dir für deine Träume auf, mein Alter … Heute Nacht würde er nur die Kälte von ihr fernhalten, nichts weiter.
Von neuem schmiegte sie sich an ihn. Ihr Atem wärmte ihm das Herz. Er zog sich das Plaid über den Kopf und schloss die Augen. Sein Schlaf war von Feen mit geschmeidigen, elfenbeinfarbenen Körpern bevölkert, die ihn aufreizend umtanzten und seinen Namen riefen. Im Traum lächelte er.
Das erste graue Licht der Morgendämmerung verscheuchte die Traumfragmente, die noch durch Marions Kopf trieben; und mit ihnen schwand sogleich jeder Anschein von Vertrautheit zwischen den beiden jungen Leuten. Hinter sich spürte Marion Duncans kräftigen, warmen Körper. Er bewegte sich nicht und schlief wahrscheinlich noch. Der Arm, den er um die junge Frau gelegt hatte, wog schwer, und seine Hand, die im Gras lag, zuckte unruhig. Er träumte.
Seine Wärme strahlte auf sie aus. Nur ihre Finger und Zehen und ihre Nasenspitze waren eiskalt. Sie rückte ein wenig herum und beobachtete, wie die große Hand sich vom Boden hob, langsam die Finger ausstreckte und sich dann auf ihre Taille legte. Ein kleines Weilchen blieb die junge Frau bewegungslos liegen. Er schien nicht aufgewacht zu sein, denn sie spürte seinen Atem langsam und regelmäßig im Nacken.
Marion hatte schreckliche Angst vor dem unausweichlichen Moment, in dem sich ihre Blicke treffen würden. Sie schämte sich sehr und war böse auf sich selbst, weil sie ihrer Angst, allein zu schlafen, unterlegen war. Ob er wohl gedacht hatte, sie wolle …? Ihr schoss das Blut in die Wangen. Falls er unzüchtige Gedanken gehegt hatte, dann hatte er sich gehütet, sie ihr zu zeigen, und das war auch gut so. Und mehr noch, ganz anders als sie das von einem Mann aus Glencoe erwartet hätte, hatte er sich sanft und fürsorglich verhalten, nachdem sie ihre … Vision gehabt hatte. Sie seufzte leise bei dem Gedanken an die albtraumhaften Bilder, die sie während der Nacht gequält hatten und ihr immer noch nachhingen.
Die große Hand drückte leicht auf die Stelle, an der sie sich niedergelassen hatte, und glitt dann gemächlich auf ihre Hüfte hinunter. Duncan grummelte an ihrem Hals, ein Zeichen, dass er erwachte. Sie hielt den Atem an. Zärtlich zog er sie an sich und erstarrte dann auf der Stelle. Er richtete sich auf und rückte von ihr weg.
Reglos saß er da. Nur sein schneller, stoßartiger Atem verriet ihr, dass er sich hinter ihr befand. Langsam ließ sie sich auf den Rücken sinken, wobei sie die Decke bis an den Hals hochzog. Verlegen sah er sie an, mit halb geöffnetem Mund, als hätte er vor,
ein paar oberflächliche Worte der Entschuldigung hervorzubringen. Doch kein Laut drang über seine Lippen, und er schloss den Mund, schluckte und wandte sich ab. Das verlegene Schweigen zog sich in die Länge.
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