Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
Vom Netzwerk:
zu, nahm aber trotzdem bereitwillig das Taschentuch und
wandte mich meinem Nachbarn zu. Puterrot angelaufen und verlegen, weil ich plötzlich im Mittelpunkt stand, wollte ich mich schon entschuldigen. Doch Stuart, der meine Bedrängnis sah, kam mir taktvoll zur Hilfe.
    »Mein lieber Defoe«, begann er und beugte sich leicht nach vorn, um ein Brötchen zu ergreifen, das er mir lächelnd anbot, »wie ich hörte, habt Ihr der Politik endgültig abgeschworen, um ein ganz anderes Metier zu ergreifen. Die Schriftstellerei, wie es scheint.«
    Daniel Defoe schüttelte seine voluminöse Perücke.
    »Die Gerüchte reisen schnell. Nun gut, es stimmt. Im Moment widme ich einen großen Teil meiner Zeit dem Schreiben. Ich bin allerdings noch nicht über einen groben Entwurf meines Werkes hinausgekommen.«
    Diskret schob ich meinen Teller weg und wandte mich meinem Nachbarn zu. Die Bewegung war Stuart nicht entgangen, der noch strahlender lächelte.
    »Darf man erfahren, welches Genre Euch interessiert?«
    »Der Roman; ich trage mich mit dem Gedanken, etwas über einen unglücklichen Schiffbrüchigen zu schreiben, der auf einer verlassenen Insel lebt.«
    »Hat Euch dabei zufällig die Geschichte des armen Alexander Selkirk inspiriert?«, fragte Stuart.
    Alexander Selkirk war ein Seemann, den man nach einem Streit mit seinem Kapitän auf einer einsamen Insel ausgesetzt hatte, wo er dann von 1704 bis 1709 lebte. Daniel Defoe zuckte die Achseln.
    »Schon möglich.«
    Er schob sich einen Schafshoden in den Mund und begann hingebungsvoll zu kauen, wobei er die Augen schloss, um den Geschmack besser zu genießen. Angeekelt verzog ich das Gesicht. Er schluckte und spülte mit einem Schluck Wein nach.
    »Mit der Politik und ihren Wechselfällen habe ich abgeschlossen, und ich bedaure es nicht. Ich habe wahrhaftig genug Zeit im Gefängnis verbracht.«
    »Allerdings; Pamphlete gegen die Regierung zu verfassen,
könnte sich als ein wenig gewagter erweisen, als einen Roman zu schreiben …«
    Mit einem Mal erhob sich Clementines kristallklares Lachen und erfüllte den Raum. Der Mann mit dem durchtriebenen Gesicht und den kleinen Schweinsäuglein, der zu ihrer Rechten saß, war mir kurz zuvor als Lord Minshaw vorgestellt worden. Der andere, der links von ihr Platz genommen hatte und mir ohne Unterlass verstohlene Blick zuwarf, kam mir vage bekannt vor, doch es gelang mir nicht, sein Gesicht mit einem Namen zu verbinden. Da er ein wenig zu spät eingetroffen war, hatte man ihn mir noch nicht vorgestellt. Er war elegant in einen Rock aus olivgrünem Seidenbrokat gekleidet, unter dem er eine mit Goldborte abgesetzte und mit Goldknöpfen geschmückte Weste aus ockerfarbener Seide trug. Auf den ersten Blick hätte er für einen Gentleman aus London durchgehen können; doch seine militärisch exakten Bewegungen verrieten, welchen Beruf er ausübte. Welchen Rang er wohl einnahm? Lieutenant? Colonel? Mit seinen edel geschnittenen Zügen und den großen, haselnussbraunen Augen war er ein sehr ansehnlicher Mann. Offensichtlich gefiel er seiner Nachbarin, Emily Cromartie, die ihn mit Blicken verschlang und versuchte, mit ihrem schwindelerregenden Dekolletee, das nur von einem hauchdünnen Schleier verhüllt wurde, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch als sie bemerkte, dass er in eine andere Richtung sah, begann die junge Frau ein Gespräch mit ihrem Nachbarn zur Linken, der weibliche Reize offensichtlich besser zu schätzen wusste.
    Ohne Vorwarnung tauchten vor mir zwei kleine, prall gefüllte und perfekt goldbraun gebratene Wachteln auf, die in einer mit orientalischen Gewürzen parfümierten Sauce aus Sahne angerichtet waren. Einen Moment lang betrachtete ich die knusprigen Vögelchen und seufzte dann. Mein Magen, der an solche Orgien nicht gewöhnt war, begann sich zu beklagen.
    »So, so, Stuart«, sagte der Unbekannte. »Ihr habt also die Waffenlieferung verloren, die für die Truppen des Earl of Sutherland vorgesehen war?«
    »Ja«, grummelte der Gouverneur und ließ den Wein in seinem Glas kreisen, bevor er daran nippte. »Vierhundert Musketen
sind von dem Schiff verschwunden, das wir zu dem Zweck der Lieferung angemietet hatten. Und ich nehme an, dass Ihr, Colonel, Euch den Rest holen werdet, der noch in meinem Magazin verblieben ist. Ihr könnt morgen Eure offizielle Anforderung in meiner Schreibstube einreichen. Befindet sich Euer Regiment in Edinburgh?«
    Der Colonel fuchtelte mit einem Wachtelschenkel herum.
    »Ja«, antwortete er und tunkte

Weitere Kostenlose Bücher