Lanze und Rose
morgen Abend Gesellschaft leisten werdet.«
»Ich hoffe, Ihr seid mir nicht allzu böse, weil ich schon verraten habe, dass Ihr an meiner Tafel sitzen werdet, teure Cousine?«
Sie zwinkerte mir verstohlen zu.
»Ähem … nein.«
Mit den Fingerspitzen strich der Gouverneur abwesend über seinen Dreispitz aus Filz, den er unter dem linken Arm trug. Er zog die Augen zusammen.
»Ein hübsches Gesicht an einem gut gedeckten Tisch ist stets ein angenehmer Anblick«, meinte er und neigte den Kopf leicht zur Seite.
Ohne sein schmeichelndes Lächeln abzulegen, betrachtete er mich von Kopf bis Fuß.
»Vergebt mir, wenn ich unhöflich bin, Lady Stratton, aber es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr mir gestatten würdet, bei Tisch neben dieser charmanten Dame zu sitzen.«
Ich warf Clementine, die vielsagend die Augenbrauen bewegte, einen raschen Blick zu.
»Es wird mir eine große Freude sein, Euch dieses Vergnügen zu bereiten, Gouverneur«, erklärte ich und deutete einen Knicks an.
Der Fisch hatte den Köder geschluckt.
8
Der Gouverneur
Der imposante Kronleuchter, der im Esszimmer von einem der Deckenbalken hing, glitzerte im Licht einer Vielzahl von Kerzen. Ich war eingeklemmt zwischen einem gewissen Mr. Daniel Defoe, Politiker, Leitartikler und Pamphletist, und Lieutenant-Colonel Stuart. Wir saßen zu acht geladenen Gästen um die Tafel, die sich unter Tellern aus kostbarem Limoges-Porzellan und Schalen aus fein ziseliertem vergoldetem Silber bog. Ein kleines, zwangloses Dinner unter Freunden, hatte Clementine mir versichert. Wir waren beim dritten Gang angekommen. Die Dienstboten, die gerade eben die Reste der fettigen Aale abgetragen hatten, kehrten bereits wieder zurück und trugen Teller, in denen eigenartige, schimmernde Kügelchen in einer grünlichen Sauce schwammen. Ich warf einen verblüfften Blick darauf.
»Auf Französisch nennt man sie animelles «, erklärte Lachlan Stuart und beugte sich zu mir herüber, wobei seine gepuderten Locken, die sich aus dem schwarzen Samtband, mit dem er sein Haar im Nacken zusammenhielt, gelöst hatten, meine Wangen streiften.
Widerwillig musste ich zugestehen, dass mein Opfer ein recht stattlicher Mann war. Er war gut gebaut und musste Anfang fünfzig sein. Offenbar hatte er eine umfassende Bildung genossen und führte eine höfliche Rede. Nur sein Blick, der sich wohlgefällig in mein Mieder senkte, verriet seine Gedanken und ließ darauf schließen, wie er vorhatte, den Abend ausklingen zu lassen. Ich gab vor, diesen Mangel an Schicklichkeit zu ignorieren, betrachtete die kleinen Klümpchen, die man mir servierte, und schob sie auf dem Teller, der vor mir stand, in einem See aus Sauerampfersauce hin und her.
»Animelles ?«
»In Frankreich, am Hof des Regenten, schätzt man sie sehr.«
Er bediente sich ebenfalls, dann nahm er einen Schluck Wein, bevor er weitersprach.
»Nicht dass ich ein spezielles Interesse an allem Französischen hätte, doch ich muss gestehen, dass ich dieses Gericht ganz besonders wohlschmeckend finde. Habt Ihr es noch nie gekostet?«
»Ähem … nein«, antwortete ich und schnitt eines der kleinen Kügelchen in zwei Teile.
Ich versuchte mehr schlecht als recht, entspannt zu wirken, doch meine mangelnde Kenntnis gesellschaftlicher Feinheiten machte mich einigermaßen nervös. Da konnte Clementine mir so viele Blicke zuwerfen, wie sie wollte, um mich zu beruhigen, ich fühlte mich unwohl. Und der Gedanke, dass ich die Gesellschaft zusammen mit diesem Mann verlassen würde, war ebenfalls wenig hilfreich.
Ich steckte mir ein Stück von der unbekannten Speise in den Mund und kaute langsam auf dem Bissen herum, der von feiner Konsistenz war und tatsächlich recht gut schmeckte. Stuart beobachtete mich mit amüsiertem Blick, während ich mir das zweite Stück einverleibte.
»Was sagt Ihr?«
»Köstlich«, gestand ich und streckte die Hand nach meinem Weinglas aus. »Aber was ist es denn nun? Fleisch, würde ich meinen, aber …«
Er beugte sich zu mir herüber, wobei seine Lippen ganz leicht mein Ohrläppchen streiften.
»Schafshoden«, flüsterte er mir zu.
Ich verschluckte mich an meinem Wein. Stuart klopfte mir kräftig auf den Rücken, und dann tauchte ein Taschentuch vor mir auf, das zwischen Mr. Defoes Wurstfingern steckte. Letzterer schüttete sich vor Lachen aus.
»Wollen die kleinen Eilein nicht rutschen, Madam?«, stieß er zwischen zwei unbändigen Lachanfällen aus.
Aus meinen tränenden Augen warf ich ihm einen wütenden Blick
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