Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
Lehrer. Er wirkte als Einziger nicht nur besorgt, sondern auch verärgert. »Bist du verrückt, dich in solche Gefahr zu bringen? Du hattest Glück, dass im Erdgeschoss gerade renoviert wird und wir so schnell eine Leiter herschaffen konnten«, schimpfte er. »Ganz abgesehen davon, dass du mit deinen Gummistiefeln gegen ein kostbares Wandgemälde getreten hast.«
»Lass sie, Marco«, unterbrach die Frau ihn. »Du siehst doch, dass das arme Ding unter Schock steht.«
Kristina konnte sich kaum daran erinnern, wie sie aus dem Saal gekommen war. Irgendjemand hatte ihr eine Decke um die Schultern gelegt und sie hinausgeführt, ein Sanitäter war da gewesen, hatte ihren Puls gefühlt und ihr mit einer Taschenlampe in die Augen geleuchtet. Leute kamen und gingen und es wurde telefoniert.
Irgendwann fand sie sich in einem kleinen Café in einem Gewölberaum des Dogenpalastes wieder. Immer noch wirbelten ihre Gedanken durcheinander. Außerdem machte sie sich furchtbare Sorgen. Die nette Frau hatte versucht, Sara anzurufen, aber ihre Tante ging nicht dran. Hoffentlich war ihr und Jan nichts passiert! Ob die Gestalt von der Gondel auch sie verfolgen würde? Kristina sah sich um. Aber sie hatte gerade keine Chance, ungesehen aus dem Café abzuhauen. Und der Brillenmann ließ keinen Zweifel daran, dass er sie nicht fortlassen würde, bevor »nicht alles geklärt ist«. Was auch immer das hieß. Verzweifelt starrte sie zum Kanal, der direkt an einem Eingang des Cafés vorbeifloss. Aber sie konnte ja schlecht zum Hotel zurückschwimmen.
»Ciao!« Die Jungenstimme schreckte sie aus ihren Gedanken.
Vor ihr stand Luca Pezzi. Heute ohne seine Baseballkappe. Dafür hielt er eine Tasse mit dampfend heißem Kakao in den Händen.
»Ciao«, antwortete sie völlig verdutzt. »Was machst du denn hier?«
»Siehst du doch«, erwiderte er nicht besonders freundlich und stellte den Kakao vor ihr auf den Tisch. »Ich helfe in den Ferien im Museumscafé aus. Viel spannender ist die Frage: Was machst du hier?«
Kristina schluckte krampfhaft. Die abgerissenen, gespenstischen Kinder erschienen vor ihrem inneren Auge und sofort schlotterte sie wieder. Plötzlich war es nicht mehr wichtig, dass sie sich gestern mit Luca fast geprügelt hätte.
»Luca, kannst du mir einen Gefallen tun? Bitte ruf bei Nonna an!«, beschwor sie ihn. »Ich muss wissen, ob mit Sara und Jan alles in Ordnung ist.«
Luca runzelte verdutzt die Stirn. »Warum sollte es nicht so sein?«
»Weil …« Beinahe hätte sie die ganze Geschichte erzählt, aber sie wusste, dass er sie dann für völlig verrückt halten würde. »Weil Sara nicht ans Handy geht«, schloss sie hastig.
»Na, eben hat sie noch mit dem Museumsdirektor gesprochen«, erklärte Luca. »Er hat in eurem Hotel angerufen und endlich jemanden erreicht. Sara ist schon unterwegs, um dich abzuholen.«
Kristina fiel ein Stein vom Herzen. Sara und Jan waren also gut heimgekommen und auch Nonna war nichts passiert.
»Kein Grund, sich zu freuen«, fügte Luca hinzu. »Du wirst ganz schön Ärger kriegen.«
Kristina hätte beinahe gelacht. Schlimmer konnte es wohl kaum noch kommen. In Lucas grünen Augen leuchtete jetzt echte Neugier auf.
»Stimmt es, dass du bis zur Decke geklettert bist?«
»Ich bin nicht hochgeklettert, ich wurde geschubst!« Es war ihr einfach so herausgerutscht. Und natürlich musterte Luca sie nun, als sei sie nicht ganz dicht.
»Okaaaay«, sagte er gedehnt. »Und … äh … wer hat dich geschubst?«
»Das würdest du mir sowieso nicht glauben.«
Luca zog einen Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen hoch. »Och, gegen Pippas Geschichten kommt deine sicher nicht an, wetten?« Mit einem Mal wirkte er nicht mehr so unnahbar. Vielleicht konnte er ja doch ganz nett sein? »Ach ja, übrigens: Ich habe noch was für dich.« Er griff in seine Hosentasche, zog Jans Totenkopfanhänger hervor und legte ihn auf den Tisch. »Da, den wollte ich euch sowieso noch zurückgeben.«
Jetzt war Kristina trotz allem überrascht. »Wieso glaubst du uns auf einmal, dass der Totenkopf Jan gehört? Pippa hat doch erzählt, sie hätte den Anhänger geschenkt bekommen.«
Luca blies sich eine haselnussbraune Strähne aus der Stirn. »Na ja, sie hat mir danach gesagt, wer ihr den Anhänger angeblich geschenkt hat. Da war klar, dass es wieder mal nur eine ihrer Fantasiegeschichten war. Sie behauptet nämlich fest und steif, dass sie einen geheimen, unsichtbaren Freund hat. Unsichtbar ist er natürlich nur für die
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