Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
wirkte, ließ nach und entfernte sich.
»Ihr habt Glück«, sagte der Dunkle. »Heute strafe ich nur einen von euch Verrätern. Den anderen gebe ich noch eine Chance, mir zu beweisen, dass ihr treue Diener seid. Aber ihr wisst nun, welches Schicksal euch ereilt, wenn ihr das nächste Mal versagt.«
Mit einem Wink scheuchte er die zweibeinigen Diener vom Boot. Sofort sprangen sie ins Wasser, tauchten flink zur anderen Seite des Kanals, als müssten sie immer noch fürchten, das Schicksal des dürren Mädchens zu teilen, kletterten an Land und flohen, so schnell sie konnten, in die Gassen Venedigs.
»Narren«, sagte der Dunkle verächtlich. »Als könntet ihr mir je entkommen.«
Das Auge des Makaro
ES WÜRDE TAGE DAUERN , bis das Hotel wieder richtig bewohnbar wäre. Der Glaser hatte das Fenster samt Rahmen ausgebaut und zum Boot geschleppt. Jetzt war das Fensterloch mit Folie und Pappe abgedeckt. Jan hatte die Silberkordel mit Tesafilm daran befestigt.
Und der Kammerjäger hatte tatsächlich ein Loch im Gemäuer gefunden: Im Keller, der unter der Wasserlinie lag, fehlte ein Mauerstein. Der Raum war knietief überschwemmt. »Passiert leider häufig«, erklärte der Mann. »Wegen der Motorboote – sie verursachen zu starke Wellen, die spülen den Mörtel zwischen den Steinen weg, dann bröckelt irgendwann das Fundament und die Gebäude werden unterspült. Und dann können die Ratten umso leichter in das Gebäude kommen.«
Die Ratten oder die Geisterkinder?, dachte Kristina. Der Stein hatte sich nicht zufällig gelöst, kleine Kinderhände hatten den Zugang zum Kanal geschaffen, um die Ratten und Möwen einzulassen.
Eins war klar: Sie mussten heute noch zu Luca und Pippa, um zu erfahren, was die Kleine von den Calegheri -Kindern wusste.
»Wir müssen das Loch provisorisch verschließen, bis der Maurer kommt«, schloss der Kammerjäger. »Und ich lege Rattenköder aus für alle Fälle.«
Wenig später versperrte ein rostiges altes Lüftungsgitter den Zugang. Und wieder war es Jan, der in einem unbeobachteten Moment das Silber platzierte: ein Fischmesser, das er zwischen die Streben klemmte.
Inzwischen war das Haus voller Leute. Ein paar Nachbarn unterhielten sich aufgeregt mit Sara an der Rezeption über Nonna. Das Telefon klingelte ununterbrochen. Zwei Handwerker schleppten Pumpen für das Wasser in den Keller. Jetzt wo Sara nicht mehr allein im Haus war und das Loch im Keller mit Silber versiegelt war, schien keine Gefahr mehr zu bestehen, also verdrückten sich Kristina und Jan unter einem Vorwand und machten sich auf zur Calle del Pestrin ,wo angeblich die Pezzis lebten.
»Lucas Vater schmeißt uns doch gleich wieder raus, wenn wir klingeln«, meinte Jan. Das stimmte wohl, aber Kristina hatte für Luca auch einen Zettel geschrieben, den sie in den Briefkasten werfen wollte.
Die Sträßchen hinter dem Hotel waren so gut wie leer. Nur ein verirrter Tourist zerrte seinen Trolley rumpelnd über das Pflaster, während der Wind versuchte, ihm einen zerfledderten Fahrplan aus der Hand zu reißen. Das Trolleyrumpeln verstummte, als der Mann bei der Vaporetto-Station Sant ’ Angelo ankam. Kristina und Jan atmeten auf und liefen weiter. Aber mit einem Mal stutzten sie beide und blieben stehen. Hinter dem Hotel, dort wo sich die Mauer zum Innenhof erhob, hörte man ganz deutlich ein leises, wimmerndes Weinen. Pippa? , formte Jan mit den Lippen. Kristina nickte und legte den Zeigefinger über den Mund zum Zeichen, dass sie sich leise heranpirschen sollten. Auf Zehenspitzen schlich sie an der Mauer entlang und spähte um die Ecke.
Es war nicht Pippa, die an die Wand gekauert dasaß. Sondern der Dieb! Patschnass, die Knie bis zum Kinn hochgezogen und die Arme um die Beine geschlungen. Ein kleines Häuflein Elend, das einem fast leidtun konnte, aber nur fast, wenn man an die arme Nonna dachte. Kristina kniff die Lippen zusammen und tastete nach ihrer Silbergabel, als es plötzlich neben ihr aufblitzte. Als Jan die Kamera zückte, hatten sich ein paar Silbermesser aus seinem Gürtel gelöst und fielen klimpernd zu Boden. Der Dieb sprang auf und starrte sie erschrocken an. Kristina stellte sich geistesgegenwärtig vor ihren Bruder und hob die Silbergabel. Aber der Dieb griff sie nicht an, er federte von der Wand ab wie ein Parcours-Sportler und schnellte davon. Kristina klaubte blitzschnell Jans Messer vom Boden und zog ihn am Arm mit sich. »Hinterher!«, stieß sie hervor. Aber Jan umklammerte immer noch starr vor
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