Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
Schreck die Kamera. Jetzt erst fiel Kristina ein, dass er das Geisterkind ja noch nie gesehen hatte.
»Aber der … das da … das ist ja wirklich …«, stammelte er.
Hastig legte sie ihm den Arm um die Schulter. »Ist schon gut, Jan, warte im Hotel auf mich!«
»He!« Der empörte Ruf hielt sie zurück. Jans Gesichtsfarbe hatte von Kalkweiß zu Wutrot gewechselt. »Warte gefälligst!« Er stopfte die Kamera in die Jacke, zerrte zwei Gabeln hervor und rannte los.
Kristina wurde von einem warmen Gefühl des Stolzes auf ihren mutigen kleinen Bruder überschwemmt. Und wenn sie ehrlich war, fiel ihr ein Stein vom Herzen, den Geisterjungen nicht allein verfolgen zu müssen.
Sie fanden ihn tatsächlich wieder, er fegte an einem schmalen Kanal entlang und huschte in eine Gasse. Jan stieß einen Kampfschrei aus und nahm die Verfolgung auf. Der Dieb hetzte weiter, über einen Innenhof in eine ziemlich schäbige, ärmliche Gasse.
»He, was ist denn mit euch los?«, rief ihnen eine alte Frau mit einer Fellmütze aus einem Fenster zu. Wie neulich die Leute in San Polo schien auch sie den Dieb nicht zu sehen. Aber der Anblick von zwei Kindern, die mit Messern und Gabeln in den Händen brüllend unter ihrem Fenster vorbeirannten, war vermutlich auch so gespenstisch genug.
»Da vorne … kann … er nur … nach links«, japste Kristina im Laufen. »Du rennst weiter, ich schneide ihm den Weg ab.«
Sie warf sich herum und bog ab. Ihre Sohlen schlugen hart auf das Pflaster, ihre Lungen stachen schon vom Laufen. Sie sauste weiter – und stellte fest, dass sie sich verschätzt hatte. Eine Sackgasse! Irgendwo hinter den Häusern hörte sie Jans Laufschritte, also orientierte sie sich an dem Geräusch und suchte nach der Querstraße, durch die das Kind auf sie zurennen würde. Nur um zu merken, dass sie sich verlaufen hatte. Wieder eine Sackgasse! In ihrer Ratlosigkeit spurtete sie denselben Weg zurück – zumindest glaubte sie, dass es derselbe Weg war, aber plötzlich landete sie an einer kleinen Brücke. Beim Versuch abzubremsen rutschte sie zu allem Überfluss auf einem glatten Pflasterstein aus. Ihre Jeans riss beim Sturz am Knie, dann schrappten ihre Handflächen schmerzhaft über den Boden. Die Messer tanzten klimpernd in Richtung Kanal davon wie zappelnde Fische, die ins Wasser zurückwollten. Kristina rappelte sich auf und hechtete hinter dem kostbaren Besteck her. Drei Messer blieben zum Glück von selbst liegen, das vierte und fünfte aber schlitterten weg, rutschten über die Treppe, die ins Wasser führte – und versanken im Kanal. Cesares wertvolles Besteck! Und den Dieb hatte sie auch aus den Augen verloren. Kristina hockte sich auf die Treppe, starrte keuchend in das Wasser und rieb sich das schmerzende Knie.
Irgendwo links neben ihr schniefte es leise. Sie fuhr herum – und wäre um ein Haar selbst ins Wasser gefallen.
Der Dieb hockte unter der Brücke. Er schien auf dem Wasser zu schweben, aber dann entdeckte Kristina den dicken schwarzen Kabelschlauch, der aus der Wand hinunter ins Wasser ragte. Der Junge kauerte darauf, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, und starrte sie nun ebenso entsetzt an wie sie ihn. Sein Gesicht war tränennass, und sie sah, dass er nun tief Luft holte. Er atmet doch sonst nicht?, dachte sie noch – als er im selben Augenblick zwei Finger in den Mund steckte. Er wollte nach den anderen pfeifen! Oder schlimmer noch – nach dem Mann, der Kristina in San Polo verfolgt hatte.
Sie zerrte ihre Silbergabel aus dem Ärmel und riss sie hoch. »Ein Mucks, und ich werfe!« Sie hoffte, dass sie drohend genug klang. »Und ich ziele gut!«
Was gelogen war, aber der Junge erstarrte in der Bewegung. Er hatte wirklich Angst vor Silber, er schien beim Anblick dieser Waffe sogar noch eine Spur blasser geworden zu sein, wenn das überhaupt möglich war.
»Gut so. Und jetzt Hände hoch! Na los!« Du liebe Güte, jetzt redete sie schon wie ein Cop aus einem Actionfilm!
Immerhin nahm der Junge die Finger aus dem Mund. Aber nicht, weil er ihr gehorchte. »Tu das Silber weg!«, fauchte er. »Wirf es ins Wasser!«
Kristina schnaubte verächtlich. »Ja klar, dann kannst du in aller Ruhe deine Freunde rufen!«
Irgendwo in der Ferne brüllte Jan ihren Namen.
Der Junge duckte sich angespannt wie ein Tier, das überlegt, ob es angreifen oder flüchten soll. Eigentlich hatte Kristina erwartet, gleich einen schrillen Pfiff zu hören. Sie machte sich bereit, um die Gabel, falls nötig, mit aller Kraft
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