Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
sind jetzt da. Direkt hinter euch. Ihr müsst sie überzeugen, dass ihr uns helfen wollt!«
Es war nicht gerade beruhigend, dass Donno bei diesen Worten selbst plötzlich sehr eingeschüchtert und ängstlich klang. Voller Unbehagen dämmerte Kristina, dass Donno vielleicht das einzige der Geisterkinder war, dem sie vertrauen konnte. Nur zu gut erinnerte sie sich an die blassen, feindseligen Gesichter der anderen. Aber sie entdeckte kein Kind weit und breit. Dort wo Donno hindeutete, befand sich nur ein leerer, von anmutigen Steinbögen begrenzter Innenhof. In seiner Mitte stand ein Brunnen und dahinter führte an einer Hofwand entlang eine Steintreppe nach oben. In dem Rechteck des Himmels hing der Mond. Es sah so aus, als würde die Treppe direkt auf den Mond führen. Aber keine Donnole weit und breit.
»Vielleicht wollen sie nicht sichtbar sein«, vermutete Jan.
Luca trat vor und räusperte sich. »Donno hat uns hierhergebracht. Ich bin Luca, das sind Pippa, Kristina und Jan. Wir … sind auf eurer Seite.«
Es blieb unheimlich still in den Schatten. Nur die Luft schien plötzlich elektrisch aufgeladen zu sein. Kristinas Haar stand zu Berge und knisterte unter ihren Fingern, als sie es sich aus der Stirn strich. Sie konnte fast spüren, wie die Situation zu kippen begann. Unwillkürlich begann sie zurückzuweichen, aber wo war der Ausgang?
Donno stieß einen kleinen, verzweifelten Laut aus. »Bitte«, flehte er Kristina auf Deutsch an. »Du musst sie überzeugen! Sonst rufen sie den Dogen und liefern euch aus.«
Kristina wurde kalt. Das war ein Satz, den sie garantiert nicht übersetzen würde. Aber Luca und Pippa schienen auch so zu spüren, worum es ging. Unwillkürlich rückten sie alle vier näher zusammen. Kristina legte schützend die Arme um das kleine Mädchen.
»Sprecht mit uns!«, bat sie in die Stille.
»Maria Fontano«, sagte Luca plötzlich. »Andrea Calvi, Lano Piero, Franco …«
Etwas Seltsames geschah. Zischendes Flüstern wallte auf. »Johannes Schuster …« Bei diesem Namen zuckte Donno zusammen und bekam große Augen. Luca sprach ruhig weiter, zählte Namen um Namen auf, und Kristina begriff, dass es Violettas Liste mit den Namen der Waisenkinder war. Luca war schlau. Er erinnerte sie daran, wer sie vor ihrer Zeit als Sklaven des Dogen gewesen waren! Und offenbar erkannten sie ihre Namen wieder.
Gestalten erhoben sich in den Schatten, kletterten von den Wänden. Und als der letzte Name verklungen war, stand eine Gruppe von einem Dutzend Donnole vor ihnen. Die Stille war erdrückend. Viel zu nah rückten die Kinder heran, kreisten sie ein, eine stumme, drohende Versammlung. Das Glitzern von Wasser spiegelte sich in den dunklen und zu großen Augen. Pippa war die Einzige, der das Herz nicht in die Hose rutschte.
»Und ich bin Pippa Pezzi«, sagte sie zu einem hageren Mädchen und grinste. »Redet ihr jetzt endlich mit uns?«
Man konnte spüren, wie der Bann brach. Das Mädchen lachte als Erstes verwundert auf, dann rauschten plötzlich ein Dutzend Echostimmen durch den Raum. Die Kinder rückten noch näher, und Kristina und die anderen wichen erneut zurück. Kalter Wind verwehte ihr Haar von hinten, als sie sich dem Fenster näherten.
»Vorsicht!«, rief Donno. »Nicht weiter!«
Kristina fuhr herum – und konnte gerade noch verhindern, dass eine Hand aus Tang und Algen sie an der Jacke packte. Schwarze Arme streckten sich wie schlammige Tintenfischtentakel durch die Gitter des Fensters. Die Wesen mussten direkt aus dem Kanal auf die Anlegestelle gekrochen sein. Stumm standen sie nun hinter den Fenstergittern – Kolosse aus dunklem Schlamm, Tang wuchs wie Haar auf ihren Köpfen und Schultern. Das war selbst für Pippa zu viel. »Iiieh!«, schrie sie auf und vergrub das Gesicht an Kristinas Brust.
Sofort brachten sie alle einen größeren Abstand zwischen sich und die Schlammwesen. Auch wenn sie dabei mitten zwischen die Donnole gehen mussten, was nicht weniger unheimlich war.
»Sind die immer im Kanal?«, fragte Jan entsetzt.
»Immer da«, raunte das Mädchen, das auf den Namen Maria gehört hatte. »Und doch nicht da. Sie kommen nur zu den geheimen Orten. Aber lasst euch dort nie von ihnen berühren.«
Kristina wurde allein bei diesem Gedanken fast schlecht.
Wieder war die Gruppe still geworden und musterte die Eindringlinge erwartungsvoll. Sie waren wie Statuen, was natürlich am fehlenden Zwinkern und Atmen lag. Ob sie auch nicht wissen, dass sie längst gestorben sind?,
Weitere Kostenlose Bücher