Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
aufgezeichnet. »Es ist ein Code, ich habe ihn bloß noch nicht geknackt. Aber heute Morgen fiel mir ein, was Donno über die Himmelsarznei erzählt hat. Ich habe meinen Vater gelöchert und er hat mir das hier gegeben.« Er zückte ein kleines verstaubtes Buch. Die Seiten waren schon ganz vergilbt. Kristina musste sich anstrengen, um die verschnörkelten Buchstaben lesen zu können, auf die Luca nun triumphierend deutete. »Theriak?«
Luca nickte eifrig. »Oder auch Himmelsarznei – so hat Donno sie ja auch genannt. Hier steht: Im Mittelalter galt der Theriak als universales Heilmittel, eine Art Zaubertrank gegen so gut wie jede Krankheit. Unter anderem half er gegen Vergiftungen, Bisse von Tieren, Skorpionstiche, Tuberkulose, Magenschmerzen und … die Pest und alle sonstigen ansteckenden Krankheiten!«
»Hui«, sagte Jan beeindruckt. »Dann musste man nie zum Arzt.«
»In Venedig durften ihn nur ganz wenige Apotheker zubereiten«, fuhr Luca fort. »Nur einmal im Jahr durfte der Theriak in einem Bronzemörser hergestellt werden. Die Zubereitung musste als öffentliche, mehrtägige Zeremonie in Anwesenheit höchster Autoritäten ausgeführt werden. Auf dem Campo Santo Stefano sieht man heute noch die runden Mulden im Boden, wo die Bronzemörser unter freiem Himmel standen. Verkauft wurde das Heilmittel weltweit und trug zum Reichtum Venedigs bei.« Triumphierend blickte er auf. »Violetta hat beim Apotheker Vipernfleisch bestellt. Und jetzt ratet mal, was in der Himmelsarznei drin ist?«
»Schlangen!«, rief Kristina. »Donno hat erzählt, dass damals lebende Schlangen in Holzkäfigen auf dem Campo ausgestellt wurden, zusammen mit den anderen Zutaten.«
Luca nickte. »Vipernfleisch war die wichtigste Zutat. Außerdem gehört Weinstein in den Trank, Opium und Honig – und auch ein Stück Horn vom Einhorn. Mein Vater sagt allerdings, dass dieses Horn schon damals nur der Zahn eines Narwals war. Im Museo Correr ist einer ausgestellt.«
»Dann glaubst du …«
»… dass Violettas Liste hier ein Theriak-Rezept sein könnte. Und ich wette, da sind noch ganz andere Zutaten darauf als die, welche die Apotheker verwendet haben. Und bestimmt hat sie den Trank heimlich hier im Palazzo hergestellt. Schließlich war das nur Apothekern erlaubt. Außerdem hat ihr Trank viel besser gewirkt.«
»Stimmt, sie hat die Kinder geheilt«, ergänzte Jan.
Lucas Wangen glühten richtig. »Ja, wir müssen nur noch die Geheimschrift knacken. Aber wenn ich weiß, dass ich nach dem Wort Viper suchen muss, wird es einfacher.«
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Luca raffte sofort die ganzen Unterlagen zusammen und stopfte sie zurück in die Plastiktüte.
Es war Cesare mit einem schnurlosen Telefon in der Hand.
»Für dich«, brummte er und gab Kristina den Hörer. »Das Krankenhaus. Sie ist wieder ansprechbar.«
Selten war Kristina ein so großer Stein vom Herzen gefallen. »Nonna?«, rief sie.
»Nein, die Königin von Saba«, kam es ungehalten zurück. »Ich will mit dir reden. Ohne die anderen. Und zwar subito !«
»Ich bin in zehn Minuten da.« Kristina legte auf. »Sie ist wach und es geht ihr gut!«, jubelte sie.
Jan stieß einen Freudenschrei aus. »Gehen wir zu ihr?«
»Sie will mich allein sprechen.«
»Gut«, meinte Luca. »Dann hält Jan hier die Stellung und passt auf das Hotel auf. Aber ich begleite dich. Sicher ist sicher.«
»Und Jan lassen wir hier?«
»Was soll schon passieren?«, beruhigte Luca sie. »Im Augenblick ist das Hotel der sicherste Ort in ganz Venedig. Und er hat das Handy und ruft sofort an, wenn er etwas Ungewöhnliches sieht, nicht wahr, Geisterjäger?«
Jan grinste so breit, als hätte er einen Ritterschlag erhalten, und nickte.
Kristina hätte es niemals zugegeben, aber sie war unendlich erleichtert, nicht allein an den vielen Kanälen vorbeigehen zu müssen. Trotzdem machte sie die Vorstellung, Jan im Hotel zurückzulassen, nervös.
Es war gruselig, wie viele Ratten sie davonhuschen sahen. Einige Tiere schienen sie zu verfolgen, aber sobald Kristina sich umdrehte, hörte sie nur noch Rascheln oder Trippeln.
Schwarze Möwen hockten auf den Häuptern geflügelter Löwen und beobachteten wie Geier, wohin Kristina und Luca gingen. Längst hatte Kristina weiche Knie und auch Luca war erstaunlich schweigsam.
Vor jedem Kanal wurden sie langsamer. Luca ging voraus und sah sich um, dann winkte er Kristina zu und sie spurtete los. Atemlos rannten sie über die kleinen Brücken, und
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