Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
einer Plastiktüte.
Nach und nach erhellte warmes Licht die Kapelle. Mit jeder Kerze wuchs der Raum, schartiger Stein, staubige Bänkchen und ein kleiner Altar schälten sich aus der Dunkelheit. Zwei gemalte Engel lächelten von der Decke. Die Augen der Donnole leuchteten unter den Kirchenbänken, wo die Kinder Zuflucht gesucht hatten. Ob Sara sie sehen konnte? Aber im Augenblick hatte sie nur Augen für die Engel. »Ich war hier!«, flüsterte sie verwundert. »Diese Engel kenne ich. Ich verstehe das nicht! Was geschieht mit uns?«
Jan trat vor und nahm ihre Hand. »Setz dich erst mal hin, Tante Sara.«
Er begann zu erzählen, dann machten Luca und Kristina weiter. Sara hörte stumm zu, mit verschränkten Armen auf eine Kirchenbank gekauert, ihr Gesicht unter der Mütze wurde immer blasser. Aber sogar im Kerzenlicht erkannte man, dass nach und nach rote Flecken auf ihren Wangen zu leuchten begannen.
Kaum hatte Luca geendet, sprang sie auf. »Entweder ihr seid verrückt oder ich träume wirklich noch!«, rief sie hitzig aus. »Das soll ich glauben? Magisches Silber? Ein schwarzer Doge aus irgendeinem fernen Jahrhundert, der herumspukt und mich umbringen wollte?« Sie lachte auf. »Und dann auch noch Geisterkinder! Das gibt es nicht!«
»Ich habe es auch nicht geglaubt«, erwiderte Kristina leise. »Aber du kennst die Donnole, von früher, als du in meinem Alter warst. Damals, als der Hinterhof überschwemmt wurde. Du warst auf der Suche nach einem Garten und bist im Nachthemd hinausgegangen.«
Heftig schüttelte Sara den Kopf. »Das war ein Fiebertraum. Ihr seid wohl verrückt, wenn ihr denkt, dass ich …«
Die Donnole krochen unter den Kirchenbänken hervor, kletterten auf die Lehnen und ließen sich sehen. Sara verschlug es die Sprache. Mit einem Schrei schoss sie hoch und stolperte von den Sitzen weg zum Altar. Dort blieb sie stehen – und sank in sich zusammen, bis sie auf dem Boden saß, die Arme um die Knie geschlungen. »Ihr!«, hauchte sie. Kristina fürchtete schon, sie würde womöglich in Ohnmacht fallen. Aber etwas ganz anderes geschah: Ein Strahlen glitt über Saras Gesicht und ließ sie sehr jung wirken, fast wie ein Kind. »Ich habe euch damals also nicht geträumt!« Die Donnole begannen zu lächeln, streckten die Hände nach ihr aus, berührten sie schüchtern. Und plötzlich murmelten und lachten alle durcheinander, zupften an Saras Locken, rückten ganz nahe an sie heran.
Kristina musste lächeln.
Luca war ans Fenster getreten und blickte auf die Lagune hinaus, die Schultern hochgezogen, die Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben.
Kristina trat zu ihm. »Ist was?«
Luca räusperte sich. »Woher wusstest du, dass du das Zeichen auf die Treppe malen musstest?«
»Von Sara. Sie träumt anscheinend davon, Violetta zu sein. Vielleicht sind das solche Spiegelungen aus der Vergangenheit. Oder vielleicht hallen Violettas Träume immer noch im Palazzo wider. Auf jeden Fall war es einen Versuch wert, oder?«
Aber Luca ging nicht darauf ein. Seine Miene war noch düsterer geworden. Was war nur los mit ihm?
»Wenn ein Weg auf diese Insel führt, dann war Violetta auch hier«, überlegte er, in Gedanken versunken.
Kristina nickte. »Sonst hätte Sara auch nicht von den Fischen an der Tür geträumt. Sie nannte sie Fortunatos Fische.«
Luca presste die Lippen zusammen.
»Ist es nicht komisch, dass die Gondel gesunken ist?«, wechselte er das Thema. »Ein Doge, der sich mit seiner eigenen Welle aus dem Boot schubst? Für mich sah es fast so aus, als hätte … Sara was damit zu tun.« Kristina warf einen verstohlenen Blick über die Schulter. Sara redete leise mit den Donnole, sie lachten, als würden sie sich an alte Zeiten erinnern. Und plötzlich fiel Kristina ein, wie Sara am Tag nach Weihnachten weinend vor dem Hotel gestanden hatte – und wie das Wasser erstaunlich schnell gestiegen war. Aber natürlich war allein der Gedanke, Sara könnte irgendetwas mit den Aquanen aus Papas Märchen zu tun haben, völlig absurd. Das hier war Sara, ihre flippige Tante, die in Berliner WG s wohnte, Schlabberpullis trug und am liebsten Spaghetti aß, keine Zaubergestalt aus einer venezianischen Legende!
»Vielleicht hat sich seine Magie auch nur gegen ihn gewandt«, setzte sie dagegen. »Er kann den Kanal in ein Ungeheuer verwandeln – oder vielleicht ist er einfach aus der Gondel gefallen und war somit schutzlos?«
Luca wirkte nicht besonders überzeugt.
»Gehen wir zurück zum
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