Lass den Teufel tanzen
völlig harmlosen wilden Krauts zu ersetzen.
Dritter Tag
NUNZIO SOLIMENE HAT die ganze Nacht schlecht geschlafen. Um ehrlich zu sein, ist ihm etwas passiert, das vollkommen neu war. Am Abend zuvor, am Ende der Behandlung seiner Tochter mit Musik, ist er erst spät zu Bett gegangen und im Gegensatz zu sonst nicht gleich in jenes grabähnliche Dunkel gestürzt, in dem es nichts gibt und man nichts empfindet und aus dem man im Handumdrehen wieder erwacht und draußen den Morgen dämmern sieht. Nein, gestern Nacht standen, kaum hatte er versucht, die Augen zu schließen, plötzlich die Schafe der Herde von Terranera um sein Bett herum. Und sie waren allesamt geschlachtet, hatten offene Bäuche, und überall war Blut. Und dann sind diese Schafe eine hohe Treppe hinaufgestiegen, die plötzlich in dem Zimmer erschienen war; er hat versucht, sie aufzuhalten, aber da hat sich eins von ihnen umgedreht und angefangen zu lachen und mit der Stimme von Addolorata zu reden. Dann war das Zimmer plötzlich Procida, der Kerker von Terra Murata, aber es gibt keine Häftlinge mehr, der Kerker ist verlassen, die Fenstergitter sind herausgerissen, die Zellentüren stehen offen, überall wächst Gestrüpp. In jeder Zelle steht ein Baum, Nunzio weiß, dass die Bäume leben oder doch von Geistern bewohnt werden; das Licht ist blassblau, und die Sonne steht tief wie an einem Winterabend. Er sagt zu den Bäumen, sie sollen verschwinden,
weil er mit dem Besen dorthin muss, aber sie bewegen sich nicht. Er spürt eine gewaltige und schreckliche Macht, die von ihnen ausgeht und die all ihre Bewegungen bestimmt. Die Bäume atmen, und auf einem der Bäume sitzt Addolorata, splitternackt, und sagt: »Wenn du in der Lotterie gewinnen willst, musst du mich an den Füßen nehmen.« Und dann hat er eine Erektion und beginnt, sich an dem Baum zu reiben, der atmet, während er versucht, den Körper von Addolorata zu berühren, aber er kann sie nicht packen. Der Baum wird riesengroß, und auch die Zellendecke, und dann beginnt er zu ejakulieren, doch plötzlich senkt sich die Decke auf ihn herab wie ein gewaltiger Grabdeckel und erdrückt ihn im Moment größter Lust in einem Feuerwerk der Dunkelheit.
An diesem Punkt hat Nunzio die Augen geöffnet und gesehen, dass er immer noch in seinem Haus ist. Was, zum Teufel, ist mit ihm passiert? Was ist geschehen? Er liegt reglos da, schweißüberströmt, und hält den Atem an, lauscht den Geräuschen des Hauses.
Jetzt rüttelt ein starker Wind am Fensterladen der Küche. Ihm ist, als wäre noch bis vor einem Augenblick in seinem Kopf eine riesige Ebene gewesen, durch die ganze Herden von Pferden galoppierten, oder ein felsiger Strand, an dem sich gewaltige Wellen aus schwarzem Wasser brachen. Ist das hier also ein Traum? Das ist Nunzio noch nie passiert.
Dann hört er Filomena, die auch heute im anderen Zimmer aufräumt, und ihm fällt alles wieder ein.
Er steht auf und trinkt auf nüchternen Magen ein ganzes Glas Aleaticowein, um sich den Mund und das Gehirn durchzuspülen. Und solange Wein da ist, wird er den ganzen
Tag weitertrinken, bis zum Abend, wenn die Musik verstummt ist und alle gegangen sind.
Auch gestern hat Archina den ganzen Tag getanzt. Mit einem Kissen auf dem Kopf ist sie aufgestanden und hat die Schritte der Tarantella getanzt, die Augen stets zu Boden oder an die Wand gerichtet. Dieses abwesende Gesicht hat Nunzio auch in anderen Situationen an ihr gesehen. Aber da hat keine Musik gespielt.
Gestern hat Aurelia gesagt, der zweite Tag habe noch nicht gereicht und Archina müsse noch mehr aus sich herausgehen, weshalb sie mit den Musikanten vereinbart hat, dass sie auch noch einen dritten Tag spielen werden.
Dieser dritte Tag beginnt im Zeichen eines starken Windes, der durch die Straße vor dem Haus fegt. Unter der endlosen Sonne des Salento verbreiten sich die Düfte der Felder und Wiesen in Windeseile. Die Menschen müssen gebückt gehen, um sich gegen den Wind, die aufkommenden Brisen und Wirbel zu wappnen. Die Musikanten schnappen nach Luft, als sie eintreffen; ihre Gesichter sind ausgetrocknet und von der Sonne verbrannt, die Augen blutunterlaufen. Als sie in die Wohnhöhle treten, sind sie immer noch orientierungslos und schimpfen, als sie Nunzio begrüßen, über das unwirtliche Wetter draußen. Epifani sagt: »Salentu, terra di mare, di vinu e di jentu« 11 , in der neunmalklugen und doch trostlosen Art eines Menschen, der auf ein Sprichwort zurückgreifen muss, um die Wirklichkeit
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