Lass den Teufel tanzen
habe drei Tage in Folge getanzt und sei schließlich vollkommen erschöpft zu Boden gesunken, doch zusammen mit dem Teufel sei auch das Gift aus ihrem Körper gewichen und es gehe ihr wieder gut.
Und dann hatte genau an diesem Nachmittag Candelora Santo bei ihr zu Hause vorgesprochen. Hätte Virginia zum Zeitpunkt ihres Besuchs nicht schon so weit dem Magenbitter gefrönt, dass es ihr nicht mehr möglich war, eine wie auch immer geartete Gefühlsregung in ihr Bewusstsein vorzulassen, wäre sie bestimmt wie vom Blitz getroffen gewesen. Wann hätte denn ausgerechnet Candelora, die sie nicht einmal grüßte, wenn sie ihr auf der Straße begegnete, und ihr gegenüber offenbar nur Verachtung und Hass hegte, wann hätte die sie jemals aufgesucht? Da blieb einem ja die Spucke weg! Doch Virginia hatte sich nichts anmerken lassen, sondern war schwankend in ihren Pantoffeln zur Tür geschlurft, bat Candelora herein, ließ sie auf dem Sofa Platz nehmen, auf dem in früheren Zeiten ihre Kundinnen gesessen hatten, und drückte ihr ein Gläschen Likör in die Hand, das Candelora mit spitzen Fingern anfasste, ohne auch nur daran zu nippen. Der Besuch dauerte weniger als fünf Minuten. Soweit sich Virginia angesichts des stark alkoholisierten Zustands erinnern konnte, brummelte Candelora Dinge wie: »Es ist nur aus Liebe zu meinem Bruder … schließlich gibt es ja mittlerweile Blutsbande zwischen Euch und uns … jedenfalls fühle ich mich dazu verpflichtet, es Euch mitzuteilen. Kennt Ihr Solimenes Tochter? Nunzio Solimene, der bei uns auf dem Gutshof arbeitet? Im Dorf heißt es, sie sei es gewesen, die Narduccio Greco das tödliche Gift verabreicht hat … Ihr wisst ja, den jungen Mann hat man heute Morgen ermordet aufgefunden. Das Mädchen hielt sich immer bei diesen Grecos auf. Wer weiß, was in dem Haus so alles vorging … Er und seine Ehefrau, die so viel älter ist als er … Ich will es mir nicht einmal vorstellen … der Teufel treibt überall sein
Unwesen. Jedenfalls scheint das Mädchen jetzt vollkommen den Verstand verloren zu haben. Vor einiger Zeit hat es sogar eines dieser Schauspiele gegeben, wie das niedere Volk sie liebt, na, Ihr wisst schon. Es hieß, sie sei von der Tarantel gebissen worden und all der andere Blödsinn, den sich diese tumben Bauern hier auf dem Land so erzählen. Aber was ich Euch eigentlich mitteilen will, ist, dass das Mädchen mit dem Vater auch oft nach Neapel gefahren ist… ins Kloster … Ihr wisst schon, wohin. Jedenfalls scheint es, als hätte sie dort einen gewissen Jungen sehr lieb gewonnen. Und jetzt sagen die Nonnen, seit gestern Abend sei der Junge verschwunden und sie wüssten nicht, wo er ist. Ich musste es Euch mitteilen, und ich habe es Euch mitgeteilt. Ihr werdet sicher verstehen, dass wir in unserer Lage nichts unternehmen können … Die Polizei zu verständigen würde bedeuten, die Karten auf den Tisch zu legen. Es würde Nachforschungen geben … Papierkram. Nein! Das kann man nicht machen. Die Nonnen … Schwester Addolorata hat angerufen … Sie sagt, gestern sei Solimenes Tochter vorbeigekommen und habe den Jungen auf einen Spaziergang mitgenommen, von dem sie jedoch nicht zurückgekehrt seien. Und ganz früh heute Morgen hat jemand die beiden im Postbus gesehen, der aus Neapel kam. Sonst hat man nichts mehr gehört. Und jetzt weiß ich nicht, was Ihr zu tun gedenkt, doch bei jedem Schritt, den Ihr unternehmt, handelt bitte mit Diskretion. « Mit diesen Worten stand Candelora auf, stellte das noch volle Likörglas auf dem Couchtisch ab und rauschte mit einer Steifheit hinaus, mit der sie sich offenbar als große Dame von Welt aufspielen wollte, während sie in den Augen Virginias dabei nur so starr und hässlich aussah wie der Tod.
Danach hatte sich die Sapúta mit ihrem ganzen Gewicht auf das Sofa fallen lassen und begonnen, auch der anderen Hälfte der Magenbitterflasche den Garaus zu machen. Dann wussten also diese beiden grässlichen Zwillingsschwestern wirklich alles? Hatten es immer gewusst, all die Jahre, und den Mund gehalten? Und jetzt war ihr Sohn aus dem Internat verschwunden? Und warum war Candelora ausgerechnet zu ihr gekommen, um es ihr zu sagen, hatte sogar die Mühe auf sich genommen, sie persönlich aufzusuchen? Dabei hätte diese elende Alte doch wissen müssen, dass Angelo sie seit dem Tag, an dem Severino auf die Welt gekommen war, gezwungen hatte, an ihren Sohn als etwas zu denken, das nicht zu ihr gehörte, vielleicht auch als etwas, das
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