Lass dich lieben - Lucy
schon darauf, mitzuerleben, wie der Schmetterling sich aus dem engen Kokon deiner Mutter befreit.«
Sie runzelte die Stirn. »War ich denn so unscheinbar?«
»Nicht unscheinbar – niemals«, beteuerte er. »Allerdings hast du dich allzu sehr von den Prinzipien deiner Mutter leiten lassen. Wenn du dich zu stark auf Sicherheit konzentrierst, versäumst du den Spaß und lebst nicht richtig.«
Man fällt aber auch nicht auf die Nase, dachte Lucy, um gleich darauf zu erkennen, dass sie wie ein Papagei die Mahnung ihrer Mutter wiederholte. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Hatte sie statt eines eigenen Lebens ein fremdbestimmtes geführt?
»Nimm beispielsweise die Garderobe, die du im Büro trägst«, fuhr Josh ernst fort. »Die Kleider schützen dich vor jedem Risiko. Sie sind sicher, über jegliche Kritik erhaben, absolut professionell, aber sie verraten nichts über die wahre Lucy. Die Lucy, die ich kenne. Sie sind ein Spiegelbild deiner Mutter.«
»Mag sein«, räumte sie versonnen ein.
»An den Sachen ist absolut nichts Aufregendes.«
»Das ist richtig. Ich ziehe sie einfach an und gehe los.«
»So sollte es aber nicht sein, Lucy. Du solltest deine Garderobe lieben.«
Sie sah ihn vorwurfsvoll an. »Jetzt spricht deine Mutter aus dir.«
»Mum hat Recht. Kleidungsstücke sollten deine Stimmung heben und dir ein gutes Gefühl vermitteln. Die Haltung ist ausschlaggebend. Deine Sachen signalisieren, dass du einen Kompromiss geschlossen und dich damit abgefunden hast, nicht mehr wert zu sein. Sie ziehen dich herunter, und das solltest du dir nie antun.«
»Na schön, morgen kannst du deinen Kopf durchsetzen.« Sie hatte allerdings die dunkle Ahnung, dass sie sich mit diesem Versprechen auf gefährliches Gebiet vorwagte.
»Ich will nicht meinen Kopf durchsetzen, sondern etwas für dich tun.«
»Aber vielleicht verpatze ich alles.«
Er schüttelte den Kopf. »Wichtig ist das Lächeln auf deinem Gesicht, das Herzklopfen. Das erreichst du mit dem richtigen Outfit. Du musst dich dann nur noch treiben lassen. Hab Vertrauen in dich, und achte nicht auf die Meinung anderer.«
Lucy atmete tief durch und beschloss, geradezu unverschämt frei zu sein und die Sachen auszusuchen, die ihr gefielen und das Gefühl vermittelten, sexy zu sein. Keine Bürokleider mehr. Keine Bürofrisuren. Die Vorstellung, wie James am Dienstag früh versuchen würde, die neue Lucy Worthington zu durchschauen, entlockte ihr ein Lächeln.
Inzwischen hatten sie den geparkten MG erreicht. Josh schob sie zur Fahrerseite. »Fang schon mal an zu üben.«
»Ich kann doch nicht dein Ein und Alles fahren«, protestierte sie.
»Soweit ich weiß, hast du bislang nur den Ford deiner Mutter gefahren, und der hat ein Automatikgetriebe. In einem Punkt hatte James Hancock heute Abend Recht: Ein Sportwagen ist anders.« Er öffnete die Tür für sie. »Steig ein. Ich gebe dir Unterricht.«
»Und wenn ich ihm beim Ausparken eine Beule verpasse?« Josh lächelte sorglos. »Das riskiere ich.«
Seine Unbekümmertheit forderte sie heraus. Etwas riskie- ren… War es nicht genau das, was sie gewollt hatte? Sie stieg in den MG und stellte sich den Sitz ein. Dann packte sie mit beiden Händen das Lenkrad.
Das ist es, sagte sie sich. Ich mach’s.
Und zwar sofort.
Bis Dienstag früh würde sie sich grundlegend geändert haben, und James Hancock würde der Schlag treffen. Ein himmlischer Gedanke.
»So ist’s Recht. Gib Stoff«, drängte Josh, nachdem er sich neben ihr niedergelassen hatte.
Kichernd drehte sie den Zündschlüssel. Lockere Lucy…Es ging los.
6. KAPITEL
Mit federnden Schritten, einem Lächeln auf den Lippen und einem Gefühl prickelnder Vorfreude öffnete James die Tür zum Sekretariat, in der festen Überzeugung, Lucy dort vorzufinden, die sich auf seine Ankunft vorbereitete. Dass von ihr jedoch keine Spur zu entdecken war, ernüchterte ihn schlagartig.
Er blickte auf die Uhr. Fünf vor neun. Eigentlich war Lucy nicht zu spät dran, allerdings kam sie sonst immer früher. Er hatte nie erlebt, dass sie nicht vor ihm im Büro gewesen wäre. Es ärgerte ihn, dass sie ausgerechnet heute unpünktlich war, zumal er ihr den Montag freigegeben hatte.
Gestern hatte er kaum etwas von seiner Arbeit erledigen können. Lucys Abwesenheit – und das brennende Verlangen, ihrer Beziehung eine neue Richtung zu geben – hatten ihn zu sehr abgelenkt. Obwohl er sich ständig sagte, es sei falsch, ein perfektes Arbeitsverhältnis mit einem privaten zu
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