Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
»Deutschland hat sich vermutlich vor allem wegen der Steuereinnahmen für eine staatliche Regulierung der Prostitution entschieden. Wenn sie allerdings in kleinräumige Toleranzzonen wie die Reeperbahn abgedrängt wird, hat das einen enormen Anstieg der Polizeikosten zur Folge.«185 Es hat lange gedauert, bis der deutsche Staat das Nullsummenspiel durchschaut hat, das er sich mit seiner halbherzigen, bürokratischen Mixtur aus stillschweigender Duldung, Sperrgebietsverordnungen und Sittenwidrigkeitsparagraphen eingebrockt hat.
Frauen wie Nadja, die mit 13 Jahren im Rotlichtmilieu der Reeperbahn landete, kosteten den Staat viel Geld: Krankenhaus-aufenthalte wegen Zuhältergewalt, Zeugenschutzprogramme, Sozialhilfe, Therapien, Ausstiegsprogramme. Dabei ist davon auszugehen, daß sie im Laufe ihrer Prostitutionskarriere Millionenbeträge erwirtschaftet hat. Laut Berechnungen der Hamburger Kriminalpolizei setzt eine attraktive Prostituierte in zehn Jahren bis zu 1,8 Millionen DM um, mitunter sogar deutlich mehr.186 Das wußten auch ihre Zuhälter, die sie insgesamt dreimal weiterverkauften, für Beträge bis zu 90000 DM. Die Einkünfte aus ihrer Prostitutionstätigkeit haben sie brav versteuert. Sie selbst hat wegen eines Sparbuchs mit 600 DM fast ihr Leben verloren. Auch deswegen hat sie später, als sie ihre Einkünfte mit niemandem teilen mußte, nie Steuern gezahlt.
Der größte Verlust, so scheint es, geht nach wie vor vom Hurenstigma aus. Wie begründet die unheilige Allianz aus Feministinnen, Konservativen und Vertretern von Kirchen und Projekten ihre Prostitutionskritik, und welche Interessen stecken hinter den Fassaden politischer Korrektheit? Wie wirkt sich die Opferrhetorik auf die Realität der Sexarbeit aus? Wie beeinflussen Klischees über Zwangsprostitution und Frauenhandel unser Bild der Sexarbeit? Sind Prostitutionskunden Täter oder Sexsuchtopfer? Und wo zeichnet sich ein Bewußtsein für sexuelle Rechte und neue Sichtweisen des ältesten Gewerbes der Welt ab?
V SEX UND MORAL
Die wichtigsten Probleme der Gegenwart lassen sich nicht auf derselben Denkebene lösen, auf der sie entstanden sind.187
Albert Einstein
1 DAS KARTELL DER GUTMENSCHEN
Kann eine Hure eine gute Mutter sein? Nadja
Am Anfang fand ich es extrem wichtig, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich wollte einen Beitrag dazu leisten, gegen Vorurteile anzukämpfen. Ich wollte der Welt zeigen, daß selbst eine Klischeehure wie ich sich verändern kann. Aber als ich merkte, daß immer dieselben Fragen gestellt wurden und alle immer die arme Prostituierte sehen wollten, habe ich nur noch Medienarbeit gemacht, wenn es Geld dafür gab. Ich fühlte mich so ausgesaugt. Alles, was ich sagte, konnte verdreht und gegen mich verwendet werden. Manchmal eskalierte die Situation in der Art, daß mich irgendwelche Leute aus dem Publikum gnadenlos fertigmachten. Da fiel mir auf, daß ich im Prinzip genau das Gegenteil von dem erreichte, was ich beabsichtigte. Ich bin ja ursprünglich mal an die Öffentlichkeit gegangen, um die Prostitution realistisch darzustellen. Aber was die Medien daraus machten, führte dazu, daß ich mich mißbraucht fühlte. Und als therapiertes Mißbrauchsopfer lag es nahe, daß ich mir irgendwann sagte: Das brauche ich mir nicht mehr gefallen zu lassen. Einmal verfolgte ich im Fernsehen eine Talkshow mit dem Titel:
»Kann eine Hure eine gute Mutter sein?« Schon die Themenstellung ärgerte mich. Sie hätten ja auch fragen können: »Kann ein Schichtarbeiter ein guter Vater sein?«
Also rief ich beim Sender an und sagte: »Wissen Sie was, ich bin so lange in der Prostitution tätig und gleichzeitig Mutter, und ich finde, den Titel der Sendung hätten Sie auch anders formulieren können.«
Zwei Wochen später bekam ich einen Rückruf: Ob ich nicht Lust hätte, in eine neue Folge dieser Talkshow zu kommen und über meine Erfahrungen als Prostituierte zu sprechen.
Um meine Privatsphäre zu schützen, bestand ich darauf, hinter einer Leinwand zu sitzen, und bat darum, meine Stimme zu verzerren.
In der Sendung sollte es schwerpunktmäßig um meinen Ausstieg gehen und um die Frage, wie ich meinem Kind klarmachen würde, in welchem Beruf ich lange Jahre gearbeitet habe. Doch die ganze Zeit über kam ich praktisch kaum zu Wort. Hinter der Leinwand sitzend, mußte ich anhören, wie die Leute mich für alles, was ich von mir gab, in Bausch und Bogen aburteilten. Als ich sagte, ich würde das meinem Kind nie allein
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