Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
erklären, sondern immer in Gegenwart einer Therapeutin, hieß es: »Na wunderbar, Sie wußten doch, daß Sie ein Kind kriegen, und jetzt brauchen Sie eine Psychologin, um Ihrem Kind zu erklären, was Sie beruflich machen.« Dann wurde kritisiert, daß ich hinter der Leinwand sitze, nach dem Motto: »Was haben Sie denn sonst noch zu verbergen?« Ich erwiderte, daß die Leute, die sich offen zur Sexarbeit bekennen, oft Probleme mit ihrem Umfeld bekommen. Da blockte man sofort ab. Am Ende meinte irgend jemand: »Die meisten Kinder von Prostituierten landen irgendwann sowieso im Heim.« Das gab mir dann den Rest. Ich fragte mich: Nadja, wie konntest du dich jemals auf so etwas einlassen? Doch der eigentliche Hammer kam erst, als ich die Sendung später im Fernsehen sah. Da mußte ich nämlich feststellen, daß sie meine Stimme entgegen all unserer Absprachen doch nicht verzerrt hatten. Und ein paar Tage später rief eine Erzieherin aus dem Kinderladen an und teilte mir mit, daß einige Eltern meine Stimme in der Sendung erkannt hätten und nun fürchteten, daß mein dreijähriges Kind die anderen Kinder mit AIDS infizieren könne. Sie waren sogar der Meinung, mein Kind sollte die Gruppe verlassen. Sie haben also tatsächlich mein Kind diskriminiert, weil sie erfahren hatten, in welchem Beruf ich arbeite.
Klischee Nr. 59:
Die Sexarbeit ist gesellschaftlich akzeptiert.
Glaubt man Meinungsumfragen, so akzeptieren immer mehr Deutsche die Sexarbeit als gesellschaftliche Realität. Einer Langzeiterhebung des Instituts Allensbach zufolge kommentierten 42% der Befragten das Stichwort Prostitution 1981 noch mit dem Satz »Das darf man auf keinen Fall tun«. 1990 äußerten sich 30% der West-Deutschen und 51% der Ost-Deutschen noch genauso rigoros. 1994 stimmten dem Statement dagegen nur noch 25% der West-Deutschen und 34% der Ost-Deutschen zu.188 Auch eine Umfrage des Instituts Dimap vom August 1999 zeigt, daß 68% der 1000 Befragten dafür waren, die Prostitution als Beruf mit Steuer-und Sozialversicherungspflicht anzuerkennen.189 Doch nicht alle teilen die Ansicht einer scheinbar toleranten Mehrheit. Für die Pfarrerin Sylvia von Kekule sind sexuelle Tauschgeschäfte »immer noch frauenfeindlich und menschenver-achtend. Ich möchte eine Frau sehen, die das von Anfang bis Ende freiwillig macht.«190 Alice Schwarzer hält die Prostitution für
»insofern sittenwidrig, als sie der Kern der Korruption des Geschlechterverhältnisses ist«.191 Und Peter Gauweiler ereiferte sich nach einem ZDF-Porträt über Felicitas Weigmann in einer Zeitungskolumne: »Wer nicht zugeben will, daß ein Leben im edelsten Edelpuff in der Regel zu mißlingen pflegt, der prüfe die Lebensläufe der von den Bahnhofsmissionen betreuten Alterswracks aus dem Rinnstein und schaue sich an, wo sie ihre Karrieren begonnen haben.«192
Nicht nur diese netten Statements legen nahe, daß unsere Gesellschaft der Sexarbeit ambivalenter gegenübersteht, als Umfragen zeigen. Es ist eine Sache, Prostituierten das Privileg der Sozialversicherungspflicht zu gönnen. Aber wie sieht es aus, wenn die Frau, die Tochter, die Kollegin sich als Sexarbeiterin outet? Im direkten Kontakt zeigt sich die Macht des Stigmas selbst in vergleichsweise unpersönlichen Situationen: »Jugendamt, Wohnungsamt und Arbeitsamt ziehen mit 30% bis 50%
›Unfreundlichkeits-Beurteilungen‹ die meisten Beschwerden auf sich«, so die Prostitutionsforscherinnen Leopold und Steffan, »und für alle drei Institutionen gilt, daß Frauen, die ihre Prostitutionsaktivität nicht verborgen hielten und halten konnten, die Behandlung deutlich häufiger als unfreundlich erlebten als Befragte, die ihre Prostitutionstätigkeit nicht bekannt machten.«193
Daß das Stigma die Menschen trotz neuer Gesetze noch fest im Griff hat, zeigt auch die Situation in den traditionell liberalen Niederlanden, wo Prostituierte seit Oktober 2000 ihr Gewerbe (und damit auch Name, Adresse und Telefonnummer) bei den Industrie -
und Handelskammern eintragen lassen können. Da die Einträge gegen eine geringe Gebühr eingesehen werden können, zogen sich Frauen aus Angst vor Entdeckung zunehmend aus der Prostitution zurück oder arbeiteten illegal weiter. Obwohl gerade auch niederländische Geldinstitute gern an die Zielgruppe Frau und ihre besonderen Sicherheitsbedürfnisse appellieren, gestehen sie Prostituierten eher selten ein reguläres Geschäftskonto zu. Ohne Geschäftskonten haben Sexarbeiterinnen allerdings
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