Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Entschluß, Geld gegen Sex zu tauschen, scheint nicht nur für Sexarbeiterinnen, sondern auch für deren Kunden das Endergebnis komplexer Überlegungen und ambivalenter Gefühle anstatt eindimensionaler Reiz-Reaktions-Muster. Sexuelle Impulse, moralische Bedenken, die finanzielle Situation, Befangenheit, Ängste um die Gesundheit, die eigene Sicherheit, die Anonymität und mögliche Konsequenzen für die Privatbeziehung - all das wird anscheinend bedacht und gegeneinander abgewogen. Manchmal können äußere Faktoren in die Entscheidungsfindung hineinwirken. Befindet sich unser Mann in einer fremden Umgebung und muß erst aufwendig recherchieren? Schleppen ihn Freunde oder Kollegen mit in den Puff?
Wieviel Alkohol hat er intus? Ergeben sich Gelegenheiten für unbezahlten Sex? Hat er glaubhafte Ausreden, wenn er später als üblich nach Hause kommt? Über die Mechanismen, die Gefühlsambivalenzen in die eine oder andere Richtung beenden können, ist außer anekdotenhaften Informationen wenig bekannt.
Sexarbeiterinnen und Bordellbetreiber spüren die Ambivalenz unter anderem an einer hohen Rate von Fehl-oder reinen Informations-anrufen. »Die Leute sind sehr unsicher«, so Evelin. »Man gewinnt den Eindruck, sie haben das starke Verlangen, in den Laden reinzugehen, aber andererseits sehr große Schwellenangst. Einige erzählen später, daß sie etliche Versuche unternommen haben, hier anzurufen, aber immer wieder aufgelegt haben.« Für den Bordellbetreiber Philipp erinnert die Entscheidungsfindung und Vorbereitung eines Bordellbesuchs eher an eine selbstverordnete Verhaltenstherapie zur Überwindung von Ängsten als an eine simple zielgerichtete Handlung.
Für Christiane Howe von Agisra e. V46 sind die Bordellbesuche vieler Kunden vergleichbar mit einem bewegenden, manchmal auch durchaus verstörenden Ein-und Austritt in eine Art Parallelwelt: »Das scheint etwas ganz Abgespaltenes zu sein. Wir machen auch Streetwork, und wenn man sieht, wie die Männer sich erst ein paarmal umdrehen, bevor sie ins Bordell gehen, da bekommt man schon den Eindruck, die räumliche Schwellenangst ist auch eine inner-psychische. Beobachtet man umgekehrt, wie sie das Bordell verlassen, manchmal richtiggehend rausfallen und sich orientieren müssen, zum Teil sogar erst mal in die falsche Richtung gehen, dann wirkt das, als ob sie gerade die Grenze zwischen zwei komplett anderen Welten überschritten haben.«
Ich schwebte auf Wolken: Statement
eines Wirtschaftswissenschaftlers in der
Hydra-Freierstudie47
Es gibt sehr perfekte Damen, von denen man wirklich beglückt nach Hause geht, die auch eine emotionale Seite zulassen - das ist natürlich das Höchste, obwohl es gar nicht immer Ziel der Sache ist. Für mich sind gute Prostituierte unglaublich viel wert. Die haben in meinen Augen einen gesellschaftlichen Wert, den manche einfach ignorieren. Was für Neurosen die schon geheilt haben und wie viele Menschen die beglückt haben - Ich bin schon von einer Prostituierten weggegangen, da schwebte ich auf Wolken. Das vermittelt sich ja auch den Mitmenschen, ich bin dann nicht me hr so aggressiv, bin ruhiger, gelassener - das ist doch was Tolles!
Klischee Nr. 14:
Prostitutionskunden suchen die schnelle Trieb—
abfuhr und stellen keine Ansprüche an die Qualität der erotischen Dienstleistung.
In der letzten großen deutschen Freierstudie lief für 78,1% der Befragten Sex mit einer Prostituierten auf einen Koitus hinaus, 70,9%
verspürten zusätzlich oder als Alternative ein Bedürfnis nach passivem Oralsex, den nicht mal jeder zweite Proband in seiner Privatbeziehung erlebte. Bedürfnisse nach Analverkehr (9,6%), S/M
(17,6%) oder Gruppensex (5,1%) fanden in der Prostitution ebenfalls häufiger statt als mit der Partnerin.48 Deutsche Männer scheinen mit einer gewissen Koitusfixiertheit also einerseits dieselben, andererseits andere sexuelle Praktiken auszuleben als in ihren Ehen und Partnerschaften.
Die scheinbaren Widersprüche der Statistik lösen sich im Gespräch mit Prostituierten und Bordellchefinnen schnell auf. Oft spiegeln die bevorzugten Dienstleistungen die Typologie bzw. Lebenssituationen der Kunden. Es ist kein ungeschriebenes Gesetz, aber während partnerlose Freier mit Prostituierten ihre Basissexualität in Form von Blümchensex abzudecken scheinen, melden sexuell aktive gebundene Männer tendenziell Bedürfnisse an, die sie mit ihrer Partnerin nicht ausleben können oder wollen. Insgesamt sind die
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