Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Kundenwünsche, ihre Erwartungen und Ansprüche den Frauen an der Basis zufolge in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten gestiegen und haben sich dabei in alle möglichen Richtungen ausdifferenziert. Die Generation McSex liebt das Experiment, die Inszenierung, eine Zeitgeist-Sexualität, die nicht zwangsläufig inneren Neigungen, sondern tendenziell Medienbildern und einem konsumorientierten Erlebnishunger folgt.
Stellvertretend für viele Kolleginnen beschreibt Julia diesen Wandel:
»Mach mich ekstatisch«: Julia
Die Generation, die heute zwischen 70 und 80 ist, war früher schon aufgeregt und happy, wenn einem der Rocksaum hochrutschte. Die heute Vierzigjährigen haben in jungen Jahren bereits so viel erlebt, daß es zunehmend schwieriger wird, sie mit Normalsex zu begeistern. Dadurch, daß überall soviel Sex gezeigt wird, denken sie, wenn sie normalen Verkehr haben, dann sind sie die Loser. Manche haben ganz unrealistische Vorstellungen. So jemand legt dann das Geld auf den Tisch und sagt: »Mach mich ekstatisch.« Dann frag ich: »Was soll's denn sein?« - »Ja, das weiß ich doch nicht«, erwidert er dann. Wenn er die Ekstase auf Erden will und den Weg dorthin noch nicht mal annähernd kennt, dann weiß ich es natürlich auch nicht. Daß er den Zugang zu seiner Erotik selbst finden sollte, will er von mir natürlich nicht hören. Also sind meinerseits Entertainmentqualitäten gefragt.
Klischee Nr. 15:
Prostitutionskunden suchen sexuelle Dominanz
bzw. sexuelle Abwechslung.
Zwar können Kunden mit einer offenen Erwartungshaltung die Dienstleisterin unter Erfolgsdruck setzen, andererseits überlassen sie ihr so auch die Gestaltung und Kontrolle über das Programm. Nach Expertenansicht signalisiert die Unentschiedenheit des Kunden sogar so etwas wie eine Aufforderung an die Frau, den aktiven Part zu übernehmen. »Sie erkaufen sich das Recht, passiv zu sein«, formuliert der schwedische Sozialforscher Sven-Axel Mansson das Sexualverhalten vieler Prostitutionskunden.49 In seinem Freier-Sample gab die Hälfte der Probanden an, daß sie die Frau vor dem Verkehr ausdrücklich darum bitten, »oben« zu sitzen. Die Popularität erotischer Massagen und dominanter Praktiken, die den Kunden in die passive Rolle bringen, stützt Manssons These ebenso wie die subjektiven Eindrücke vieler Sexarbeiterinnen. In dieses Bild paßt auch, daß die Mehrheit der befragten Freier einer Hydra-Studie eher passive Bedürfnisse nach Zärtlichkeit, Nähe, Streicheln, Kuscheln, Unterhaltung und viel Zeit äußerten.50 Mindestens die Hälfte der Hydra-Probanden suchte zusätzlich oder anstatt sexueller Aktivität das entlastende Gespräch. »Männern wird häufig vorgeworfen, sie wollten nur das Eine und würden dabei zwischen Körper und Gefühlen trennen«, so die Prostitutionsforscherin Sabine Grenz. »Dem widerspricht die Aussage von Rolf, der ein Jahr lang regelmäßig zu einer Sexarbeiterin aus Osteuropa ging, die viel ›warmherziger‹ und
›einfühlsamer‹ gewesen ist als deutsche Frauen: ›Ja, wie gesagt, ich bin nicht hauptsächlich hingegangen wegen Sex. Nähe und Zärtlichkeit waren wichtige«51 Anders als es das feministische Klischee will, strebt die Mehrheit der Männer in der Prostitution also nicht nach sexueller Dominanz.
In eine ähnliche Richtung geht auch, was Kleiber und Veiten über das Partnerwahlverhalten von Prostitutionskunden herausgefunden haben. Freier bevorzugen bei Prostituierten demnach denselben Frauentyp wie in ihrer privaten Partnerwahl: die selbstbewußte, extrovertierte, niveauvolle, charmante und lebenserfahrene Frau, die gleichzeitig offen und authentisch kommuniziert. Lolita-Eigenschaften? Unemanzipierte Verhaltensweisen? Fehlanzeige.
Weder die vielbeschworene Spaltung männlicher Frauenbilder in Huren und Heilige konnte durch die Freier-Studie bestätigt werden noch die Annahme, daß die Mehrheit der Männer in der Prostitution einen dominanten Anteil ihrer Sexualität mit »schwachen« Frauen auslebt.
Auch die These, daß Männer in der Prostitution vor allem sexuelle Abwechslung suchen, trifft nur bedingt zu, bedenkt man, daß viele Freier ihrer Dienstleisterin über längere Zeiträume treu bleiben.
Obwohl fast drei Viertel der Kleiber/Velten-Probanden sich über den Geschäftscharakter ihrer Beziehung zur Dienstleisterin im klaren war, hatte fast jeder zweite mehrfachen oder regelmäßigen Kontakt zu seiner letzten Prostituierten. 9,5% hatten sich in die Frau sogar
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