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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Domentat
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33:
    Prostituierte haben bei den Freiern keine Wahl. J
     
    Die Vorstellung, daß Prostituierte mit unattraktiven Männern Sex haben müssen, sei es aus Geldnot oder weil es die Politik des Hauses verlangt, gehört zu den abschreckendsten Prostitutionsklischees. Dort, wo Frauen Kunden ablehnen können, läßt sich jedoch beobachten, daß gängige Attraktivitätsnormen nicht nur für die Gäste, sondern auch für die Frauen an Bedeutung verlieren, ohne daß die Sexualität deshalb als Zumutung erlebt wird. Im Gegenteil: Dort, wo es vordringlich um Sexualität geht, zeigt sich, daß die Botschaften des Lifestyle ihre disziplinierende Wirkung einbüßen. Prostitutionskunden, von denen ja mehr als die Hälfte privat gebunden ist, repräsentieren aber nicht nur ästhetisch ein breites Spektrum der männlichen Bevölkerung, sondern auch in puncto Persönlichkeit. Der rücksichtslose, sexuell aggressive Freier, der Frauen zu Handlungen nötigt, die sie erniedrigen oder ihre persönlichen Grenzen überschreiten, ist aber ein Klischee, die Ausnahme vom Regelfall. »Gleichwohl ist bemerkenswert, daß entgegen dem oftmals auch in den Medien verbreiteten Bild vom aggressiv durchsetzungsfähigen und -bereiten Freier der durchschnittliche Prostitutionsbesucher sich vom Durchschnittsbürger diesbezüglich nicht unterscheidet«, schreiben Kleiber und Veiten und kommen damit zu den gleichen Resultaten wie neuere internationale Studien.
    »Vergleichsweise häufiger werden es Prostituierte sogar mit aggressiv gehemmten und submissionsbereiten Männern zu tun haben.«90 In eine ähnliche Richtung gehen Erfahrungen von Projekten und Journalisten, die selbst im Bereich des Sextourismus mit seinen angeblich so klar verteilten Rollen beobachten, daß Stammfreier von ihrer Dienstleisterin emotional abhängig werden, während diese alles daransetzt, den liebeskranken Freier auf Abstand zu halten.91 Den Aufwand, der nötig ist, um einen Kunden wieder loszuwerden, schätzen erfahrene Sexarbeiterinnen auch hierzulande eher gering ein.
    »Bei den schwierigen Kunden selektiert es sich von selbst«, so Julia.
    »Die merken, daß ich genervt bin und kommen dann nicht mehr so oft, oder ich reduziere von mir aus die Abstände.«
     
    Klischee Nr. 34:
    Prostituierte dürfen sich nicht sexuell abgrenzen oder eigene Lust empfinden.
     
    Daß die Realität der selbstbestimmten Sexarbeit auch auf der Dienstleistungsebene keinen vertikalen Befehlsketten folgt, zeigt die Erfahrung, daß viele Kunden nicht mit festen Vorstellungen in die Begegnung gehen, sondern sich sozusagen vom Angebot insprieren lassen. »50% meiner Kunden wissen, was sie wollen«, so Laura, »die übrigen 50% überlassen mir das Programm.« Wie internationale Freierstudien und Erfahrungen von Sexarbeiterinnen zeigen, werden zudem überwiegend Praktiken nachgefragt, die auch in Privatbeziehungen gang und gäbe sind. Kundenwünsche und eigene Zumutbarkeitsgrenzen darüber hinaus so kompatibel wie möglich zu gestalten setzt ein klares Bewußtsein persönlicher Toleranzgrenzen voraus, aber auch Absprachen, die Fähigkeit, Bewegungsabläufe aktiv zu steuern, sich körperlich oder verbal gegen Küsse, aggressive Stoßbewegungen, unerwünschte Berührungen oder bestimmte Sexpraktiken abzugrenzen - in der selbstbestimmten Sexarbeit alltägliche Realität.
     
    Bis hierher und nicht weiter: Nadja
     
    Ich erinnere mich an eine junge Kollegin, die so gut wie alles mit sich machen ließ. Ich fragte sie: Warum sagst du ja zum Analverkehr oder zum Faustfick? Machst du das gerne, machst du es für dich selber, oder machst du es nur wegen der Kohle? Überleg doch mal, was du zuläßt und was nicht.
    Du kannst doch auch sagen, du möchtest das nicht. Manche Frauen, die geben sich einfach hin und überlassen den Freiern die Initiative. Denen versucht man natürlich die Botschaft zu vermitteln: Hör auf deinen eigenen Kö rper.
    Damit sie lernen, sich durchzusetzen und irgendwann in der Lage sind zu sagen: Bis hierher und nicht weiter.
     
    Darüber sollte nicht verdrängt werden, daß Grenzüberschreitungen auch zu jeder privaten sexuellen Biographie gehören: Der Eintritt in die Sexualität, das Erproben jeder neuen sexuellen Ausdrucksform gleicht einer Verschiebung persönlicher Erfahrungsgrenzen. Und ebensowenig wie die Machtverhältnisse in privaten Sexbeziehungen automatisch ausgewogen sind, müssen Grenzüberschreitungen in kommerziellen Kontexten zwangsläufig als bedrohlich und destabilisierend

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