Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
erwähnte auch, daß ich als Prostituierte arbeite. Er machte ihr klar, daß die Ehe von seiner Seite aus nicht in Gefahr ist, daß er mich aber weiterhin treffen werde. Und so verbrachte er die Wochenenden mit mir und die Arbeitstage mit ihr. Im Grunde genommen kam mir dieses Arrangement sehr gelegen. Da er ausgesprochen viel Nähe und Zärtlichkeit braucht, störte es mich nicht sehr, ihn mit ihr zu teilen. Nach einem Arbeitstag im Bordell stand mir nämlich der Sinn nicht gerade nach noch mehr Sex. Erst seitdem ich ausgestiegen bin, hat sich mein Empfinden geändert. Früher dachte ich manches Mal, wenn das Wochenende nahte: O Gott, jedes Wochenende Sex! Nicht schon wieder! Ich machte mir einen Spaß daraus, ihn als Sexmonster zu betiteln. Jetzt hat sich das Blatt gewendet: Inzwischen bin wohl eher ich das Sexmonster.
Ehemänner, die einer »Professionellen« treuer sind als ihren Partnerinnen. Mißbrauchsopfer, die in der Prostitution lernen, was es heißt, Sexualität zu genießen. Prostituierte, die nicht umwerfend schön sind und ungeachtet dessen sexuell begehrt werden. Kunden, denen das Vergnügen der Sexarbeiterin wichtiger ist als ihr eigenes. Es läßt sich schwer leugnen: Die neuen Realitäten der Sexarbeit stellen gängige Annahmen über Prostitution und Sexualität gründlich auf den Kopf. Der ästhetische Konformismus der Lifestyle -Sexualität beißt sich am Pluralismus der Geschmäcker die Zähne aus. Gebundene Stammfreier und Sexarbeiterinnen, die mit Lust zur Tat schreiten, widerlegen das Klischee, daß Sex nur in einer verbindlichen Liebesbeziehung intensiv erlebt werden kann. Auch die Lustlosigkeit in deutschen Betten, ein Phänomen der Beziehungssexualität, sucht man an den Schauplätzen der neuen Sexarbeit umsonst. Gleiches gilt für feministische Horrorszenarie n von ungleich gewichteter Macht und sexualisierter Gewalt. Kulturelle Mythen sind aber auch stärker als wissenschaftliche Fakten. Die Vorstellung, daß Männer mehr Sex brauchen, suchen und genießen als Frauen, hat es Frauen ermöglicht, informelle Kontrakte um die Illusion eines Mangels, einer künstlichen Angebotsknappheit herum zu konstruieren, sei es als sexuelles Tauschgeschäft oder durch die Anbahnungsrituale von Privatbezie -
hungen.
Die gängigen Diskurse über Sexualität scheitern aber nicht nur an der Komplexität und den tieferen psychologischen Realitäten der Sexarbeit, sondern auch an mangelnden Kontrollgruppenvergleichen.
So weist manches darauf hin, daß das sexuelle Erleben von Frauen in Beziehungen nicht zwangsläufig intensiver, harmonischer oder erfüllter ist als das von Sexarbeiterinnen. Das gilt auch für die persönliche Autonomie. Die sexuellen Erfahrungsvorsprünge von Sexarbeiterin nen, ihr entromantisierter Umgang mit Sexualität und das zeitlich begrenzte Verhältnis zum Kunden erleichtern es, Grenzen zu setzen. Wer im Rahmen einer privaten Beziehung oder eines Arbeitsverhältnisses Grenzen setzt, riskiert zumindest theoretisch existentiel-lere Konsequenzen als in der selbstbestimmten Sexarbeit.
3 SEXUELLE IDENTITÄTEN
Sexberatung mit Ehefrauen: Nadja
Ich erinnere mich an einen Krankenhausaufenthalt wegen einer Eierstockentzündung. Ich saß mit einer Gruppe von Frauen im Aufenthaltsraum. Wir strickten und qualmten und guckten Dallas. Eine der Frauen bekam Besuch von einem Typen, den ich kannte, einen Zuhälter. Er kam rein, sah mich und fragte laut und vernehmlich: »Na, Nadja, gehst du immer noch anschaffen? Oder bist du wegen deinem Bockschein hier?« Für die Frauen war Dallas immer der Höhepunkt des Tages gewesen, aber nach diesem Auftritt griffen alle ihr Strickzeug und verließen fluchtartig den Raum.
Während der nächsten Tage durfte ich Dallas allein gucken.
Jedesmal wenn ich in den Aufenthaltsraum kam, sind sie alle wie die Gänse rausgegangen. Endlich, nach Tagen, kam eine ältere Dame auf mich zu. Sie entschuldigte sich für ihr Verhalten und suchte das Gespräch. Dabei stellte sich heraus, daß sie vermutete, daß ihr Mann ins Bordell geht. Ich fragte sie, ob sich ihr Sexualleben in letzter Zeit verändert habe. Sie erzählte mir, daß sie keine Lust auf Oralsex hatte, weil der Penis ihres Mannes nicht sauber roch. »Also ich denke, wenn er Oralsex liebt, dann geht er nicht in den Puff, weil er Sie nicht mehr mag, sondern um sich einen blasen zu lassen«, beruhigte ich sie und schlug vor, sie könnte ihn ja zunächst mit einer Massage verwöhnen und seinen
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