Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Population auf.
Der Grund: Die Population wird nach Haushalten erfaßt. Doch viele amerikanische Prostituierte, besonders die mit den meisten Sexualkontakten, leben nicht in Haushalten, sondern auf der Straße, in Motels, Gefängnissen, Obdachlosenasylen oder anderen Institutionen.
Auch wegen ihrer späten Arbeitszeiten waren sie für Mitarbeiter, die die Interviews durchführten, nicht erreichbar.86
Diese Geschichte illustriert, wie leicht es ist, die Prostitution auszublenden, wenn von Sexualität die Rede ist und damit automatisch ihre beziehungszentrierten Erscheinungsformen gemeint sind. Daß prostitutive und Beziehungssexualitäten sich nicht nur im Hinblick auf ihre statistische Repräsentation unterscheiden, zeigt ein Blick auf das Verhalten von Sexarbeiterinen und ihren Kunden.
Weder feministische Argumente von sexualisierter Gewalt oder ungleich gewichteter Macht noch die Selektionsprozesse der Lifestyle -Sexualität sind geeignet, um die tiefere psychologische und erotische Realität sexueller Tauschgeschäfte zu erfassen. Was sich in der Sexarbeit abspielt, sprengt vielmehr bisherige Vorstellungen über männliche und weibliche Sexualität, über Sex in Privatbeziehungen und in der Prostitution.
Klischee Nr. 31:
Prostituierte sehen aus wie aufgedonnerte
Barbiepuppen.
Zu den vielleicht verblüffendsten Beobachtungen in der Sexarbeit gehört die Tatsache, daß dort auch Frauen sexuell begehrt werden, die sich Schönheitsidealen oder Klischeevorstellungen von weiblichem Sex-Appeal verweigern. »Die Leute haben oft die Vorstellung, jede Hure ist dick geschminkt, trägt einen kurzen Rock und ist aufgedonnert«, meint Nadja. »Als ich an der Straße stand, trug ich oft ganz normale Kleidung, Jeans, T-Shirt usw. Im Bordell habe ich mich im Zimmer manchmal mit Lockenwicklern vorgestellt, oder wenn wir uns gerade gegenseitig die Haare gefärbt haben, dann habe ich gar nicht eingesehen, meine Haare bei der Vorstellung unter einem Handtuch zu verstecken. Trotzdem hatte ich immer reichlich Gäste.«
Für die blasierte Lifestyle -Gesellschaft ist dieser Regelbruch schwer zu verkraften. So schreibt der Spiegel über eine bekannte Hurenaktivistin: »Stephanie Klee ist schon lange keine 18 mehr, und sie als Schönheit zu bezeichnen hieße, die Höflichkeit sehr weit zu treiben. Ihre Gesichtszüge sind derb, das Kinn ist kräftig und ausgeprägt, die Augen blassblau, zwischen den nachgezogenen Augenbrauen stehen zwei steile Kerben. Ihre Statur ist grobknochig, mit breiten Schultern, schweren Hüften, und dass sie zehn Kilogramm abnehmen könnte, weiß sie selbst. Ihr Haar ist gefärbt, feuerwehrrot, und rot ist auch ihre Leinenbluse, ihr Rock. Die Farben sind zu laut für sie, ihr Parfüm ist zu schwer.«87
In Zeiten, in denen die Sexualität außerhalb der Privatsphäre kaum thematisiert wurde, war es selbstverständlich, daß sich erotische Geschmäcker individuell ausdifferenzierten. Erst der mediale Zugriff auf die Sexualität unter den Vorzeichen des Konsums führte zu einer Gleichsetzung von Schönheitsideal, Sex-Appeal und erotischer Kompetenz. Zu keiner Zeit hat es eine vergleichbar verengte Definition von Sex-Appeal bei gleichzeitiger Ausweitung auf Fragen der erotischen Kompetenz gegeben. Aber was sagen Jugendlichkeit, Schlankheit und Trendbewußtsein über die Fähigkeit zu erotischer Leidenschaft aus? Man wird lange suchen müssen, um für mögliche Zusammenhänge eine hormonelle oder genetische Basis zu finden.
Da ist es keine geringe Ironie, daß das Regelwerk des ästhetischen Konformismus ausgerechnet in der Prostitution und der Pornographie ausgehebelt wird. Offenbar kennen und respektieren Bordelliers und Pornoproduzenten die unterschiedlichen Geschmäcker ihrer Klienten genauer bzw. besser als die Medien. Ein Blick in die Pornoabteilung eines beliebigen Sexshops zeigt, daß die Zielgruppe weder alters-noch aussehensmäßig auf einen einzigen Typ Frau festgelegt ist. Das gleiche gilt für die Mitarbeiterinnensuche von Bordellbetreibern, die ebenfalls pluralistischer abläuft als das, was uns aus den meisten Lifestyle -Magazinen entgegenspringt. In diesem Zusammenhang verweisen Bordellchefinnen oft auf die Qualitäten älterer Frauen, die auf dem Partnermarkt benachteiligt sein mögen, aber in den Kavernen des käuflichen Sex durchaus gefragt sind. Obwohl das äußere Erscheinungsbild keine unwichtige Rolle spielt, machen die Betreiber und die Frauen immer wieder die Erfahrung, daß
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