Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
unattraktiven Rentner sieht. Das Geheimnis ermächtigt seinen Träger, die selbstwertmindernden Botschaften innerlich gestärkt und ohne Ansehensverluste abzuschmettern.
Bescheiden versteckt sich die autonome Seite der Lust hinter den Sozialmasken einer bürgerlichen Welt, deren Denken, Fühlen und Handeln unablässig um die Berechenbarkeit der eigenen Existenz kreisen. Kein Wunder, daß der Reiz des Risikos und der Reiz der Erotik nicht nur im neudeutschen Wort Thrill eine gemeinsame sprachliche Ebene finden. Vieles weist darauf hin, daß Männer bei Prostituierten eine gewisse Risikolust ausleben. Die Prostitutionsforscher Kleiber und Veiten erwähnen wohlsituierte Freier, die sich für so unverwundbar halten, daß sie meinen, selbst der Gefahr einer HIV-Infektion trotzen zu können, und sorglos auf Kondome verzichten. In ihren Rollenspielen und Abstrafungsszenarien agieren auch S/M-Klienten Phantasien rund ums Thema Risiko aus: entdeckt zu werden, ausgeliefert zu sein, für eine Regelverletzung bestraft zu werden. Von einer konventionelleren Seite zeigt sich der Thrill beim Überschreiten von Anstandsgrenzen in der Strand-Phantasie von Nadjas Gast, der schließlich ihr Partner wurde. Und letztlich bricht jeder gebundene Mann meist heimlich die sexuelle Treue, was zumindest das Risiko der Lüge mit sich bringt. Die Sexarbeit ist eine Arena lustvoller Rebellion nicht nur gegen starre Rollen, sondern auch gegen moralische Konditionierungen.
Das gilt auch für ungebundene Prostitutionskunden, die sich häufig bewußt einer Beziehungskultur verweigern, die mehr mit sozioökonomischen Positionierungen und Partnerschaftszwängen zu tun hat als mit den Highlights, die sie für sich reklamiert: Romantik, lustvolle Sexualität, emotionale Nähe. Für zahllose Männer sind Sexkontakte mit Huren kein Ersatz, sondern eine Alternative zu Privatbeziehungen, ein valider Lebensstil jenseits verklärter Liebes-ideale und bürgerlicher family values. Mit der Entscheidung, ihre Libido in die Sexarbeit auszulagern, bewahren sie sich und potentielle Partnerinnen vor den Risiken und Nebenwirkungen eines überfrachteten Beziehungsideals: vor Energieverlusten durch Konflikte und Machtkämpfe, beidseitig akzeptierten Täuschungen, halbherzigen Kompromissen und Rücksichtnahmen, schleichender Entfremdung, emotionalen Schmerzen und Lebenslügen. Daß private Lebensgemeinschaften ihren eigenen Glücksansprüchen oft nicht gerecht werden, zeigt ja die hohe Zahl gebundener Männer, die in der Prostitution eine Ergänzung und ein Regulativ für die Frustrationen und Defizite dieses Lebensstils suchen. Wenn die Monogamie so leicht realisierbar wäre, gäbe es weder die Prostitution noch heimliche Liebesaffären.
In einer leistungsorientierten Berufs-und Freizeitkultur reicht die Kraft oft nicht aus für nervenzehrende Beziehungsarbeit. Aufgerieben zwischen dem Zwang zur Existenzsicherung und einer durch Geschlechterkampf und Aushandlungsrituale geprägten postmodernen Beziehungskultur, trägt die Existenzsicherung einen Punktsieg davon.
So führen auch die Zwänge des Arbeitsmarktes der Prostitution neue Kunden zu. Für einsame Karriere-Wölfe oder Freiberufler im Überlebensstreß ist Sex ohne die emotionalen Risiken einer Beziehung, ohne Abhängigkeiten und Einschränkungen eine echte Alternative zur »Beziehungsleitkultur«. Sexuelle Tauschgeschäfte zu ausgehandelten Bedingungen, ohne romantische Verklärungen und Beziehungserwartungen, sind aber auch für Frauen interessant, die die verlogenen Rituale des Partnermarktes ebenso satt haben wie Bewerbungsfrust, berufliches Rattenrennen oder Mobbing am Arbeitsplatz. Und last but not least ist die Prostitution auch deshalb eine Institution von hohem sozialen Wert, weil sie auf beiden Seiten des Tauschgeschäftes Menschen versammelt, die auf dem privaten Partnermarkt entsexualisiert und ausgegrenzt werden. Weil sie nicht nach denselben darwinistischen Maßstäben funktioniert und weil sich dort jeden Tag aufs neue bewahrheitet, daß Sex-Appeal und erotische Kompetenz nicht von den irrwitzigen Schönheits-und Beziehungs-idealen der Gesellschaft abhängen, ist die Prostitution für viele die humanere Alternative zum Partnermarkt. Daß die Sexualität ausgerechnet in ihren kommerzialisiertesten Erscheinungsformen ihr pluralistisches Gesicht wahrt, kann man im Vergleich zu den ästhetischen Normierungszwängen der Lifestyle -Sexualität durchaus als subversiv bezeichnen.
Eine Gesellschaft, in der
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