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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Domentat
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geplant oder sich in bestimmten Bordellen mehr Geld aus der Tasche ziehen ließ als beabsichtigt, die subtilen Strategien dienstleisterischer Selbstbehauptung. Und last but not least kehren die Feministinnen unter den Prostitutionsgegnern auch das sexuelle Selbstbestimmungsrecht unter den Teppich, das sie in puncto Abtreibung und sexualisierter Gewalt nie müde wurden ins öffentliche Bewußtsein zu tragen. Doch das Motto »Mein Bauch (respektive meine Vagina) gehört mir« scheint für Huren nicht zu gelten. Erfahrenen Sexarbeiterinnen wie Mia erscheint die Vorstellung, daß sie ihren Körper bzw. ihr Selbst verkaufen, geradezu grotesk.
     
    Ich verkaufe eine Illusion: Mia
     
    Mein Gott, ich verkaufe doch nicht meinen Körper. Der war vor 25 Jahren schon so, und den hab ich heute noch, da ist also kein Stück ab. Ich würde eher meinen, ich verkaufe die Illusion gelungener Sexualität. Wenn ich zu manchen Kunden nett und freundlich bin, ist es ja für sie eine Illusion, denn manchmal denke ich schon: Ach Gott, da biste aber froh, wenn der wieder raus ist. Trotzdem bin ich freundlich zu ihm.
    Meinen Sie denn, im Cafe oder im Drogeriemarkt lieben die Verkäuferinnen alle ihre Kunden? Die vermitteln denen das bloß, damit die Leute wiederkommen und ihr Geld bringen, Ware kaufen oder wie hier die Illusion einer schönen halben Stunde, die sie zu Hause nicht erleben können. Also ich sehe das nicht so, daß ich mich selbst verkaufe. Das hat diesen negativen Ruf - sie verkauft ihren Körper. Also wissen Sie, das ist doch alles... mein Gott! Das stammt von Leuten, die diesen Job entweder nicht gerne machen oder nicht mögen.
     
    In letztere Kategorie fällt wohl auch der Philosoph Andre Gorz, der einem Vergleich der Prostitution mit anderen Dienstleistungen heftig widerspricht. Für ihn unterscheidet sich die Prostitution durch die Unmittelbarkeit des Körpereinsatzes und die (von ihm unterstellte) Unmöglichkeit, sich von einer Vereinnahmung durch den Kunden zu distanzieren, grundsätzlich von anderen Dienstleistungen. »Nun kann aber im Unterschied zu allen anderen Bedienern, die in ihrem Beruf beflissene Fürsorge, gute Laune, Aufrichtigkeit, Sympathie (usw.) simulieren, die Prostituierte ihre Leistung nicht auf jenes rituelle Schauspiel von Gesten reduzieren, welches etwa die zuvorkom-menden Verkäuferinnen einer Boutique an den Tag legen«, heißt es in seiner Kritik der ökonomischen Vernunft. »Sie bietet ja nicht nur Gesten und Worte an, die sie hervorbringen kann, sondern das, was sie ohne jede mögliche Simulation ist: ihren Leib, also das, wodurch das Subjekt sich selbst gegeben ist und was ohne jede Möglichkeit der Abtrennung den Grund und Boden all seines (Er) Lebens darstellt. Es ist unmöglich, seinen Leib preiszugeben, ohne sich selbst preiszugeben, sich benutzen zu lassen, ohne erniedrigt zu werden.«150
     
    Doch nach dieser Theorie müßten ja auch Leistungssportler und Tänzerinnen, deren Körper durch Training, Verletzungen und Verschleißerscheinungen geschunden sind, sich zu den Erniedrigten und Ausgebeuteten zählen. Und Tatsache: Da Gorz die Kommerzialisierung privater Lebensbereiche grundsätzlich kritisiert und Sexualität für ihn prinzipiell in die Privatsphäre gehört, weitet er den Prostitutionsbegriff konsequenterweise auf Schriftsteller und Leihmütter aus.
    Die feministische Philosophin Sibyl Schwarzenbach hingegen ist der Ansicht, daß zwischen Körper und Ich keineswegs eine einfache Identitätsbeziehung bestehe.151 Demnach besitzt jeder Mensch die Fähigkeit, sich von bestimmten Aspekten seines körperlichen Seins zu distanzieren, ohne irgendwelche Persönlichkeitsanteile in bedrohlicher Weise »abzuspalten« oder sich gleichzeitig von sich selbst zu entfremden. Daß mit dem Verkauf der Arbeitskraft keinesfalls das Ich gleich mitverkauft wird, wußte schon Hegel, der zum Thema Arbeitskraft meinte: »Von meinen besonderen körperlichen und geistigen Geschicklichkeiten und Möglichkeiten der Tätigkeit kann ich einzelne Produktionen und einen in der Zeit beschränkten Gebrauch von einem anderen veräußern, weil sie nach dieser Beschränkung ein äußerliches Verhältnis zu meiner Totalität und Allgemeinheit enthalten.«152 Wenn die Fähigkeit zur Distanzierung das Ich jedes Arbeitnehmers vor seiner Selbstauflösung bewahrt, egal, ob er seine Körperkraft oder geistigen Fähigkeiten »veräußert«, dann gilt das auch für die Sexarbeit und unterschiedliche Nähe-Distanz-Gefühle zu

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