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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Domentat
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ohne gleichzeitig die betuliche, kleinbürgerliche Sexualmoral des Mainstream in Frage zu stellen, an den Bedürfnissen vieler Frauen vorbeiging, denen mit einer symbolischen Aufwertung ihrer Tätigkeit nicht die Spur gedient ist.
    Der Wunsch nach Flexibilität ergänzt sich ausgesprochen gut mit dem Bedürfnis vieler Kunden nach Abwechselung und ist für Bordellbetreiber eigentlich kein Grund zur Klage. Doch die Kehrseite ist, daß Arbeitgeber die Frauen oft als unzuverlässig empfinden. In vielen Bordellen herrscht ein Kommen und Gehen wie bei einer Zeitarbeitsvermittlung. Niemand kann so genau sagen, ob das an ungünstigen Arbeitsbedingungen, einem starken Bedürfnis nach persönlicher Autonomie oder am Hurenstigma liegt. Fest steht, daß sich auch Bordellbetreiber verbindliche Festanstellungen unter diesen Bedingungen nicht unbedingt vorstellen können. »Anfangs habe ich immer gesagt, das find ich toll, die Frauen haben eine Menge Vorteile«, so Mia, »im Laufe der letzten Monate hab ich meine Meinung diesbezüglich aber revidiert. Für die Betreiber wird es katastrophal werden. Es gibt Frauen, die verdienen im Monat 12 000
    Mark, die sie natürlich nicht versteuern, und halten gleichzeitig die Hand beim Sozialamt auf. Ich habe das Gefühl, wenn die sich krankschreiben lassen können, dann werden sie das andauernd tun. Da die Frauen aber oft nur kurze Zeit in einem Bordell bleiben und dann woanders hingehen, wird das für den Unternehmer eine Katastrophe.
    Die kommen und gehen, wann sie wollen, und der Chef sitzt alleine da und fragt sich, wo er so schnell wieder neue Frauen herbekommen soll.« Aber es gibt noch einen weiteren Grund, der gegen eine Festanstellung spricht: die Befürchtung, daß sozialversicherte Sexarbeiterinnen wenig Leistungsanreize hätten. »Man kann die Frauen nicht einfach zum Festgehalt einstellen«, so Evehn. »Dann wären sie ja nicht motiviert, einen Freier mehr oder weniger zu machen. Eine Möglichkeit wäre, das wie bei Vertretern mit Wandergewerbeschein zu regeln: ein geringes Festgehalt und hohe Provisionen.«
    Die Skepsis, die das sozialversicherte Anschaffen auslöst, sowie die neuen Möglichkeiten freiberuflicher Sexarbeit, die z. B. das Internet aufzeigt, scheinen auf den ersten Blick zu bestätigen, daß die Prostitution in ihren modernen, selbstbestimmten Varianten Betreiber, Organisatoren, Zuhälter und andere Vermittler und Profiteure überflüssig macht. Wenn überhaupt, so scheinen die neuen Modelle der Sexarbeit einen Trend zur Selbständigkeit zu reflektieren, der sich seit einigen Jahrzehnten auch auf dem regulären Arbeitsmarkt beobachten läßt. So entschieden sich Mitte der neunziger Jahre in den USA doppelt so viele Frauen wie Männer für die Selbständigkeit. In Deutschland wurden zur gleichen Zeit 40% aller neuen Betriebe von Frauen gegründet.154 Welche Variante die günstigere ist, hängt von individuellen Bedürfnissen und persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnungen ab, die naturgemäß sehr unterschiedlich ausfallen können.
    Vom reinen Kostenstandpunkt betrachtet, fahren Freischaffende mit eigenen Inseraten in der Regel günstiger als mit einer Regelung, bei der die Abgaben pro Kunde höher liegen als die Ausgaben für Werbung. »Unabhängige selbständige Prostituierte erzielen tendenziell höhere Einkünfte bei einem geringeren Gewaltrisiko«, meint auch die britische Prostitutionsforscherin Julia O'Connell Davidson.155 Doch wie bei allen selbständigen Berufen wird auch die Sexarbeit erst durch eigenes Engagement, konstante Werbung und Stammkunden profitabel - Synergieeffekte, von denen etablierte Bordelle bereits profitieren. Die selbständige Prostituierte Julia inseriert regelmäßig, weil die schriftliche Kontaktanbahnung, für die sie sich entschieden hat, sehr aufwendig ist. »Ich sehe zu, daß sich immer etwas Neues ergibt. Manche Kunden kommen ja nur ein-oder zweimal und suchen sich dann jemand anderes. Andere kommen nur einmal im Jahr. Wenn mir aber im Jahr zehn Kunden wegbrechen, weil sie in Pension gehen oder eine Lebenspartnerin gefunden haben oder oder oder, muß ich immer für Nachschub sorgen.« Doch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis hat auch andere Vorteile. Für die
    »Illegalen« sind geregelte Vollbeschäftigungsverhältnisse ein Ausweg aus der Kriminalisierung und Abhängigkeit. »Einmal haben wir eine Migrantin, die abgeschoben werden sollte, bei uns versteckt«, so eine Frau aus einem Berliner Bordell. »Wir verhalten uns

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