Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
solidarisch: Einige Frauen versteuern ihre Einkünfte, andere, darunter ältere, mittellose und oder chronisch kranke Kolleginnen, lassen wir schwarz arbeiten.«
Klischee Nr. 50:
Bordellbetreiber müssen Prostituierte aus Gründen der Wirtschaftslogik ausbeuten.
Die Gemeinschaften mancher Bordelle der neuen Generation ähneln eher weiblichen Solidaritätsökonomien der Dritten Welt als dem Modell der ausbeuterischen Armutsprostitution. Abseits der Männerwelten des Rotlichts entwickelte sich eine »Betriebskultur«, die das Leistungsprinzip zwar nicht außer Kraft setzte, aber statt individualistische Konkurrenz auch praktische Solidarität förderte.
Die Frauen färben sich nicht nur gegenseitig die Haare oder leihen sich Kosmetik aus, sondern parken z. B. die Einkünfte von Kolleginnen, die sich von ausbeuterischen Partnern nicht trennen können, auf inoffiziellen Spardepots.
Positiv ausgewirkt - auf die Arbeitsbedingungen und die Kundenzufriedenheit - hat sich außerdem der Verzicht auf betriebs-wirtschaftliche Verschleierungstaktiken. Beispiel Getränkeausschank: In traditionellen Rotlichtbordellen wird die sexuelle Dienstleistung oft über horrende Getränkepreise abgerechnet; mit jedem Honorar steigt dort praktisch der Alkoholpegel. In Evelins Bordell unterscheiden sich die Getränkepreise nicht von denen einer Bar ohne Sexgeschäfte. Bei Mia hingegen, die auf einen Getränkeausschank bewußt verzichtete, ersetzt eine einfache Preisliste für verschiedene Dienstleistungen die Politik der Doppelmoral. In keinem der beiden Läden stehen die Frauen unter Druck, die Gäste zu Drinks zu animieren und selbst mittrinken zu müssen. Die Kunden wissen, was sie für ihr Geld erwarten können, und leben nicht in der Angst, daß ihnen nach dreißig Minuten eine weitere Flasche Champus in Rechnung gestellt wird. Die Politik der kleinen Preise ist über Jahre hinweg zu Mias Markenzeichen geworden. Ihr Betriebskonzept wäre in dem Moment hinfällig, wo sie in die rotlichttypische Animationsstrategie wechselt, denn das würde automatisch die Verweildauer erhöhen und die Preise rasant nach oben treiben. Beide Konzepte schließen sich gegenseitig aus. Ergo: Je weniger Doppelmoral die Betriebskonzepte kennzeichnet, desto zufriedener sind alle am Tauschgeschäft Beteiligten.
Gegen das Argument von der Wirtschaftslogik spricht auch, daß sich die neue Sexarbeit von den hierarchischen Management-pyramiden und vertikalen Befehlsketten der Großbordelle und Eros-Center verabschiedete, in denen die Frauen auf langen Fluren Spalier stehen und sexhungrige Kunden nach Art fordistischer Fließbandsysteme abgefertigt werden. Statt dessen näherte man sich moderneren Formen der Arbeitsorganisation an. Wie in den teamorientierten Modellen des »lean management», wo sich das Management aus der Arbeiterschaft rekrutiert, sind es oft Sexarbeiterinnen, die Bordelle leiteten. Und wie bei den flachen Hierarchien der New Economy setzten einige Betreiber konsequent auf Selbstmotivation statt auf Kontrolle.
Doch auch wenn der Bordellalltag in diesen Läden von seinem patriarchalen Überbau befreit ist, gleicht er nicht zwangsläufig einer Oase der Harmonie. In Annikas Laden sorgten die unterschiedlichen Motive, Sex gegen Geld zu tauschen, zeitweise für Konflikte zwischen Frauen, die das Lustprinzip zur Arbeitsmaxime erhoben haben, und ihren auf Leistung, Effizienz und Profit bedachten Kolleginnen, die rebellieren, wenn die branchenüblichen Kontrollmechanismen unterlaufen wurden. Welche Ironie: Einige Frauen hatten die Regeln der Sexsklaverei so verinnerlicht, daß sie den Übergang zu einem entspannteren Arbeitsklima nur über Konflikte und Machtworte seitens der Arbeitgeberin nachvollziehen konnten.
Verinnerlichte Kontrollmechanismen:
Annika,Bordellbetreiberin
Meist prüfen Bordellbetreiber die korrekte Abgabe über die Zeit, die eine Frau auf dem Zimmer verbringt. Wenn eine Frau von sich aus die vereinbarte Zeit überschreitet, weicht sie dadurch nicht nur die Arbeitgeberkontrolle auf, sondern riskiert auch interne Spannungen. Da beschweren sich dann die Frauen, die von früheren Läden Kontrolle gewöhnt sind, und rufen auch hier nach Kontrolle. Die wissen gar nicht genau, warum das so sein muß. Denen ist irgendwann mal erzählt worden, daß auf diese Weise die Preise verdorben werden. Sie denken, sie schützen sich, indem sie auf die Zeit achten. Denen ist nicht klar, daß das eigentlich eine Kontrollmaßnahme
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