Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
bestimme ich. Das heißt, ich habe auch die Verpflichtung, es nicht ausufern zu lassen, oder wenn ich es tue, ist es mein privater Luxus. Ansonsten zahlt der Kunde Summe x für eine bestimmte Zeit. Es gibt keine Nachforderung, egal, was ich mit ihm anstelle. Sein Vorteil ist, daß er weiß, worauf er sich einläßt. Und ich habe die Souveränität, diese Zeit so zu gestalten, wie ich es für richtig halte. Das heißt, er nagelt mich nicht vorher fest: »Ich möchte aber, daß meine Brustwarzen von rechts gekrault werden«, um es jetzt mal ganz profan auszudrücken.
Während des Vorgesprächs mache ich mir ein Bild von seinem Anliegen und setze es anschließend um. Ich lasse mich von ihm nicht auf handwerkliche Details festlegen. Ich will die gemeinsame Zeit im Rahmen dieses Ge samtbildes heute so gestalten und morgen so. Im Prinzip mietet er zum Zwecke des Rollenspiels meine Zeit - einerseits. Aber vor allen Dingen mietet er meine Fähigkeit, die Regie dafür zu übernehmen, daß er seine Phantasien in einer kontrollierten, gesundheitsbewußten Form ausleben kann.
Klischee Nr. 49:
Die Sexarbeit ist ein Beruf wie jeder andere.
Zuhälter als Arbeitgeber? Blasenentzündungen als Berufskrankheit?
S/M-Utensilien als abzugsfähige Werbekosten? Wen das nicht amüsiert, kennt vielleicht nicht die Absurditäten einer staatlich durchregulierten Sexarbeit, wie sie sich in den Niederlanden darstellt, wo ein Ordnungsamt bei seinen Kontrollgängen durch Bordelle darauf bestand, daß die Dessous der Sexarbeiterinnen aus Gründen der Hygiene in die 60-Grad-Wäsche gehören. Aber im Ernst: Fängt der Vergleich mit anderen Berufsgruppen nicht dort an zu hinken, wo das Modell einer durchregulierten Vollbeschäftigung als Norm auf die Sexarbeit übertragen wird? So notwendig es war, die Sexarbeit mit anderen Berufen gleichzustellen - die sozialversicherte 35-Stunden-Woche im Bordell ist das letzte, was die Mehrheit der Prostituierten will.
Woran liegt das? Für zahlreiche Frauen ist die Prostitution eine willkommene Kurzzeitstrategie zur Mehrung des Einkommens, als Vollbeschäftigung jedoch uninteressant. Marieke van Doorninck von der Mr. A. de Graaf Stiftung für Prostitutionsstudien in Amsterdam schätzt, daß von ca. 25000 Prostituierten in den Niederlanden nur ca.
10000 täglich arbeiten.153 Die Stärke der Sexarbeit scheint gerade darin zu liegen, daß sie mehr Flexibilität zuläßt (und umgekehrt auch von den Frauen fordert) als die meisten geregelten Beschäftigungsverhältnisse. Viele Frauen steigen mehrfach in die Sexarbeit ein und wieder aus, gönnen sich nach Arbeitsphasen längere Auszeiten, reisen privat oder zum Anschaffen in andere Städte.
Andere stehen mit einem Fuß in bürgerlichen Arbeitsweiten und gehen der Prostitution nur gelegentlich nach, um kurzfristige Konsumwünsche zu verwirklichen. Manche Frauen investieren einen Teil ihres Einkommens in Zusatzqualifikationen für bürgerliche Berufe, mit denen sie sich später selbständig machen wollen. Andere realisieren Lebensträume, indem sie sich z. B. von ihren Ersparnissen im Ausland eine Existenz aufbauen. Einige Frauen steigen aus, wenn ihre Kinder älter werden, oder arbeiten nur vormittags, während sie zur Schule gehen. Obwohl nicht wenige Frauen bis ins fünfte oder sechste Lebensjahrzehnt tätig sind, beschreiten viele im Laufe der Zeit andere Wege. Auf St. Pauli galt das Domina-Wesen lange Zeit als traditionelle Alterssicherung für Prostituierte. Andere Frauen wechseln irgendwann in bürgerliche Berufe oder eröffnen ein eigenes Bordell.
Wenn sich die Begeisterung über einen festen Job mit Sozialversicherungs-und Steuerkarte unter den Frauen in Grenzen hält, dann auch wegen des Hurenstigmas, das mit einer Gesetzesänderung nicht automatisch aus den Köpfen und Herzen der Menschen verschwindet. »Die Mehrheit will das gar nicht, so Evelin über die Kluft, die sich zwischen politischen Gleichstellungsbe-mühungen und der Stimmung an der Basis auftut. »Ich bin mir sicher, daß die meisten Frauen weiterhin heimlich der Prostitution nachgehen wollen, aufgrund der Moral in der Gesellschaft und oft auch, weil sie vielleicht einen Freund haben, der das nicht wissen soll, oder zum Schutz der Kinder, damit die anderen Kinder in der Schule nicht über sie herziehen. Die werden also kaum eingestellt werden wollen.« Hier zeigt sich vielleicht am deutlichsten, daß das Ringen um Rechtsgleichheit, auf das sich viele Hurenprojekte kaprizierten,
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