Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Kaufkraft in der Region, jahreszeitliche Schwankungen, Messen und Männerüberschußsituationen bis hin zu individueller Belastbarkeit, erotischer Kompetenz, Tagesform, Alter, Umfang der angebotenen Dienstleistungen, Vermittlung und »Einstellung« von Kolleginnen oder der Frage, ob die Einkünfte versteuert werden oder nicht. Auch die Ökologie des eigenen Energiehaushalts bestimmt das Einkommen und die Arbeitszufriedenheit mit. Lydia hat sich für die Vollzeitvariante der Bordellprostitution entschieden, um regelmäßig in eine private Versicherung einzuzahlen, die ihr eine Rente ab 40 garantiert. Um sich aufzufangen, gönnt sie sich einmal in der Woche eine Therapiestunde und eine Sitzung bei der Heilpraktikerin. Ihre persönliche Anti-Streß-Formel lautet: »Ich bin total durchlässig.«
Besonders arbeitsintensive Varianten der Ganztagsprostitution können aber auch längere Erholungspausen ohne Einkünfte nach sich ziehen.
Laut Leopold und Steffan führt ein psychischer und gesundheitlicher Burn-out oft zu Einkommensrückgängen, die die weitere Prostitutionstätigkeit nicht mehr lohnenswert erscheinen und Ausstiegswünsche aufkommen lassen. Die Wissenschaftlerinnen merken an, daß »finanzielle Unzufriedenheit neben den realen Einkommensrückgängen evtl. immer dann besonders in den Vordergrund tritt, wenn der finanzielle Ertrag subjektiv in keinem günstigen Verhältnis mehr zu den psychischen, gesundheitlichen und anderen nichtmonetären Kosten steht«.158
Das Klischee, daß Prostituierte nicht mit Geld umgehen können, untermauert das Dogma, daß Frauen durch die Sexarbeit nicht reich werden können. In der Tat werden Prostituierte erst seit kurzem als Frauen wahrgenommen, die mit ihren Einkünften achtsam umgehen.
Lange galt selbst in der Fachwelt die Devise: »Schnell verdientes Geld ist auch schnell wieder ausgegeben.« Abgesehen davon, daß viele Sexarbeiterinnen nicht unbedingt schnell zu Geld kommen, hat das Klischee auch Prostitutionsexperten zu unterschiedlichen Interpre-tationen inspiriert. Die norwegischen Sozialforscherinnen Horgard und Finstad glaubten, daß der vermeintlich verschwenderische Umgang mit Geld eine Art Selbsthaß reflektiere. Mit anderen Worten: Sexarbeiterinnen mit geringem Selbstwertgefühl wollen sich von ihrem »schmutzig« verdienten Geld möglichst schnell wieder trennen.
Die amerikanischen Sexologen Vern und Bonnie Bullough betonen hingegen, daß viele Prostituierte einen Mangel an immateriellen Ressourcen wie Sicherheit, Respekt oder sozialem Ansehen entweder mit Konsum oder in einigen Fällen mit Kundendiebstählen kompensieren.159 Ein anderer Grund ist die Schwierigkeit, unver-steuerte Einnahmen zu waschen und langfristig gewinnbringend zu investieren. »Prostituierte sind daran gewöhnt, Schwarzgeld zu verdienen«, so Manksa Majoor vom Prostitution Information Center in Amsterdam, »mit diesem Geld kann man sich schöne Kleider kaufen, in Restaurants gehen und Kokain kaufen. Wenn man für die Zukunft Vorsorgen oder ein Haus kaufen möchte, braucht man
›weißes Geld‹.«160
Scampi und Taxifahrten: Larissa
Die Frauen gehen durchaus unterschiedlich mit ihren Einnahmen um. Bei einem Teil ist es sicher so: wie gewonnen, so zerronnen. Da geht das Geld für den Luxus drauf, für Klamotten, Kosmetik,
Urlaubsreisen,
Wohnungseinrichtung. Ich denke anchmal, daß das Materielle bei diesen Frauen eine Art Liebesersatz darstellt. Sie machen sich selbst eine Freude durch materielle Dinge, sie heben ihr Selbstwertgefühl, wenn sie schön aussehen und schön wohnen. Andere Frauen schließen früh Lebensversicherungen ab und ertragen es nicht, auf dem Konto im Minus zu stehen.
Gerade weil sie nie wissen, wieviel sie verdienen werden, entwickeln sie ein vielleicht übersteigertes Sicherheits-edürfnis. Diese Frauen haben immer ihre Polster, auf der Bank, zu Hause, bei der Versicherung. Sie kaufen bei Woolworth ein und schließen Verträge im Fitness-Center ab, wo sie nur 45 Mark zahlen, wenn sie bis 15 Uhr trainieren.
Die sind sehr pragmatisch, sehr realistisch. Viele Prostituierte waschen abends ihre Strümpfe aus und ziehen sie am nächsten Tag wieder an. Sie wissen genau, wo sie nur 99
Pfennig kosten, welche Kosmetik günstig ist und gut. Andere liegen zwischen Sparsamkeit und Verschwendung.
Ein Teil der Einkünfte geht drauf für's ganz normale Leben, ein anderer wird in Kleidung, Kosmetik, Dessous oder Friseurbesuche reinvestiert. Ich habe zum Beispiel für
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