Lass es bloss nicht Liebe sein
Name war ihm geläufig. Er zog das Buch heraus und blätterte durch die Seiten, dabei murmelte er die Titel, auf der Suche nach einem Gedicht, das ihn besonders ansprach. Ein Liebesgedicht vielleicht. Irgendeins, das zu den drei anderen passte, die er mittlerweile auswendig konnte.
Er hörte sie kommen und sah auf. Sie trug ein hautenges Kleid mit tiefem Ausschnitt, ihre Augen schimmerten wie die Perlen, die in den Stoff eingestickt waren. Er blickte abermals auf das aufgeschlagene Buch in seiner Hand.
» Hach, ist das schön!«, rief Lily.
» Ähm… tja, ich hatte eigentlich nicht vor, mit Ihnen im Opera House zu dinieren«, meinte er gedehnt.
Sie lachte und lief hinter ihm die Stufen hinunter. » Ganz egal, alles ist schöner, als blöd hier rumzusitzen. Wir können irgendwo in einen Pub oder ein Straßencafé gehen, wie Sie möchten, ich bin zu allen Schandtaten bereit.«
Kaum riss sie schwungvoll die Haustür auf, klingelte sein Handy.
» Warten Sie, ich nehm das Gespräch draußen an.«
Lily blieb im Flur stehen und wartete geduldig darauf, dass er sein Telefonat beendete. Dabei beobachtete sie ihn durch die Glasscheibe hindurch. Er trug einen schlichten, aber teuren dunklen Anzug, sie fühlte sich heute Abend jedoch ein bisschen überdreht, und das schrie förmlich nach Perlen. Ein Hauch von Glamour, der ihr Ego aufpeppte.
Als es ihr zu lange dauerte, lief sie nach oben ins Bad, um ihr Make-up zu kontrollieren.
Sie nahm die Fernbedienung, schaltete den Fernseher ein und setzte sich auf das Bett, trat die hohen Hacken aus. Und zog sich die Siebenuhr-Nachrichten rein. Fünfundzwanzig Minuten später, nach dem Wetterbericht, schloss sie die Schlafzimmertür und schälte sich aus dem Perlenfummel. Sie würde nirgends mehr hingehen.
Sie angelte ihre Hose vom Boden, stieg hinein und schnappte sich wahllos irgendein T-Shirt aus dem Schrank. Um halb acht entfernte sie ihr Make-up. Sie schlüpfte in ihre Fellpantoffeln und fläzte sich auf das Bett.
Ein Klopfen ertönte mitten in einer wissenschaftlichen Sendung. William öffnete vorsichtig die Tür.
» Die Sendung handelt von der Übertragung der Schweinegrippe in Belgien. Echt interessant«, sagte sie, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
» Entschuldigen Sie, Lily, aber das Gespräch war wichtig.«
» Nein, bitte, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Sie sind mir auch keine Rechenschaft schuldig, William. Sie können tun und lassen, was Sie wollen.«
» Sind Sie jetzt sauer auf mich?«, bohrte er.
» Nein.« Sie setzte sich auf. » Weshalb sollte ich sauer sein? Sie haben einen Job zu erledigen. Das mit uns ist eine rein dienstliche Angelegenheit, richtig? Sie brauchen mich weder zum Essen einzuladen noch mit mir auszugehen.«
Ja, es war eine dienstliche Angelegenheit. Aber daran mochte er jetzt nicht erinnert werden. Heute Abend war ihm daran gelegen zu verdrängen, dass Weston’s ihm einen heiklen Auftrag aufs Auge gedrückt hatte.
» Sie müssen was essen, und ich auch, also kommen Sie. Wir finden schon was.«
Um einiges praktischer gekleidet, schlenderte Lily mit William durch die Straßen bis zum Kings Cross, in ein kleines chinesisches Esscafé, wo sie häufig mit Robbie gewesen war. Zwei Reihen quadratischer Tische säumten den Raum, an den Wänden hingen Reispapiertafeln mit den Gerichten, alle in chinesischen Schriftzeichen, auf den Tischen standen Flaschen mit Sojasauce.
Als der Ober kam, klingelte Williams Handy erneut. Er fischte es aus der Tasche und erklärte: » Ich bin in einer Minute zurück.«
» Soll ich schon mal für Sie mitbestellen?«
Sie bestellte zwei Portionen Fleischklößchensuppe und sah ihm nach, als er nach draußen ging. Ob der Anruf mit einem anderen Job zu tun hatte? In diesem Business musste man bestimmt höllisch diskret sein, dachte sie. Er kehrte an ihren Tisch zurück, als die Suppe serviert wurde, große dampfende Schalen mit duftender Hühnerbrühe, knackigem Gemüse und Garnelenklößchen. Der Kellner stellte ein Schüsselchen Chilipaste dazu, brachte ihnen Stäbchen und Suppenlöffel.
» Mögen Sie Chili?«, wollte William wissen.
» Mmmh.« Sie rührte einen vollen Löffel in ihre Suppe. » Sie etwa nicht?«
Er schüttelte den Kopf und zog sein Sakko aus. Darunter trug er ein langärmeliges T-Shirt.
» Ganz in Schwarz? Von wegen Nachtarbeit und Undercover?«, fragte sie grinsend. » Schwärzen Sie sich etwa auch das Gesicht?«
Er schlürfte die heiße Brühe, fixierte sie durch den
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