Lass es bloss nicht Liebe sein
fest entschlossen, noch nicht zurückzufahren. Was sollte sie auch allein in ihrem Haus herumsitzen, das ihr mittlerweile wie ein Mausoleum anmutete?
Sie fuhr ins Basement. Dort war eine große Buchhandlung, und Lily sah sich interessiert in den einzelnen Abteilungen um. Bei den Selbsthilfetiteln blieb sie stehen. Ob es auch so was wie einen Ratgeber für verlassene Antiquariatsbuchhändlerinnen gab? An ihrem Daumennagel knabbernd starrte sie abwesend auf die ausgestellten Bücher. Als sie den Blick hob, entdeckte sie William. Er stand etwas abseits, in einer Ecke, telefonierte übers Handy, in einer Hand eine Einkaufstüte. Beim Anblick seines schmalen, anziehenden Gesichts durchflutete ein wahrer Adrenalinschub ihren Körper, ihr Herz machte einen freudigen Satz. In sein Telefongespräch vertieft, starrte er konzentriert auf den Teppichboden und nickte bisweilen gedankenvoll.
Lily überlegte, ob sie zu ihm gehen und ihn begrüßen sollte. Zumal sie inzwischen so was wie ganz gute Bekannte waren, oder? Würde er sich freuen, sie wiederzusehen, oder würde er ihr mit höflicher Distanz begegnen? Immerhin hatte er sie mittlerweile schon öfter in ihrer Buchhandlung besucht. Ein distanziertes Hallo, unterkühlte Reserviertheit und das lapidar hingeworfene Versprechen, dass er in den nächsten Tagen mal wieder vorbeikäme, hätte sie bei ihrem derzeitigen Gemütszustand jedoch schwerlich verkraftet.
Sie griff wahllos nach irgendeinem Buch. Blätterte darin herum und merkte, wie ihre Augen verräterisch feucht wurden. Du bist mal bescheuert, krittelte sie insgeheim an sich herum, warum gehst du nicht einfach hin und sagst Hallo zu ihm? Als sie jedoch von dem Text aufschaute, war er fort.
William lief durch die Innenstadt und überlegte dabei, was zu tun wäre. Angesichts der wenigen Kontakte, die er in der Stadt hatte, war er sich unschlüssig, wie er an die dringend benötigten Informationen kommen sollte. Er hatte den ganzen Morgen herumtelefoniert, dabei hatte ihm der renommierte Firmenname Weston’s einige Türen geöffnet. Jetzt hieß es, die Reaktion der Leute abzuwarten, und ob sie ihn tatsächlich zurückriefen.
Er betrat eine Mall, sah eine Buchhandlung, anscheinend eine der großen Ketten, und beschloss, sich ein paar Gedichtbände anzuschauen.
Die russische Lyrik war leidlich schwach vertreten. Nach längerem Suchen stieß er auf einen Titel von Ted Hughes, Ausgewählte Gedichte. Der Name Hughes sagte ihm etwas. Er erinnerte sich vage, was er irgendwann einmal über Hughes und dessen Gedichte gehört hatte. Viel Liebe und Sex– so was in der Art. Und zwei tote Ehefrauen, beide Male Selbstmord.
Er bezahlte das Buch und wandte sich zum Gehen. Da klingelte sein Handy.
» Hallo Süße, ich hab eine Überraschung für dich.«
» Hi«, sagte sie. » Was denn? Eine Zyankalikapsel?« Sie blickte vom Bildschirm zu Sebastian. Sie schickte gerade E-Mails an ihre Stammkunden, in denen sie ihnen großzügige Rabatte einräumte. Irgendetwas musste sie schließlich tun, um den Laden am Laufen zu halten. Zumal ihr das Wasser bis zum Hals stand.
» Immer noch nichts Neues von Robbie?«
» Nein. Und wo ist die Überraschung für mich?«, bohrte sie und versuchte, hinter seinen Rücken zu linsen.
Er zog sich einen Stuhl neben sie und sagte: » Die landet vermutlich in dieser Minute auf dem Flughafen von Sydney.«
Ihr Herz machte einen Satz. » Ist Robbie etwa reumütig zurückgekehrt?«
» Nein, ich meine, keine Ahnung, was mit ihm los ist. Ich spreche von einem italienischen Ehepaar, beide Rentner und leidenschaftliche Sammler. Signor de Pasquale interessiert sich für ein besonders schönes Stück, das ich im Angebot habe. Und die Signora sammelt mit Begeisterung alte Kochbücher.«
Lily lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und schaute ihn groß an. » Und was schwebt dir da vor? Willst du die Dame etwa herschleifen?«
» Bring den Laden tipptopp auf Hochglanz, brezel dich auf, stell deine alten Schätzchen aus, und ich schlepp sie dir in ein, zwei Tagen an.«
» Sebastian, du bist zu gut zu mir.« Sie neigte sich zu ihm, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. » Ich kann bloß hoffen, sie kauft das halbe Inventar auf, weil ich demnächst dichtmache.«
» Was? Verdammt, wieso?«
» Robbie hat mich definitiv verlassen. Hier, schau dir das an.« Sie blendete auf dem Bildschirm ihr leergeräumtes Konto ein. » Wir hatten zehntausend Mäuse auf dem Konto. Er hat die Kohle abgegriffen und ist mitsamt Buch und
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