Lass es bloss nicht Liebe sein
antwortete nicht. Er ließ den Stift sinken und spähte zu ihr.
» Was zeichnen Sie da gerade?«, wollte sie wissen.
» Den Porzellanhund da oben. Also, warum haben Sie ihn verlassen?«
» Meine Seele ist nicht so lilienweiß, wie mein Name vermuten lässt.« Sie nahm sich ein Kissen und klemmte es sich vor den Bauch.
» Das heißt, Sie haben ihn wegen einem anderen verlassen?«
» Nein, ich war nie untreu. Aber es gibt… Situationen, die können einer Partnerschaft genauso zusetzen wie Untreue.«
Darauf sagte er nichts. Er konzentrierte sich auf den Porzellanhund, den er mit locker hingeworfenen Strichen skizzierte. Sie war versucht, ihren Kopf an seine Schulter zu betten, ganz still dazusitzen und ihm beim Zeichnen zuzuschauen. Noch lieber hätte sie ihm jedoch den Skizzenblock weggenommen, seine Hand gefasst und ihn sanft in ihr Schlafzimmer gezogen. Sich neben ihn auf das Kingsizebett gelegt und alles um sich herum ausgeblendet. Vor allem Robbie und die leidige Geschichte mit dem Geld. Mit ihm im Dunkeln zu liegen, die Nähe eines anderen Menschen spüren, seine Wärme fühlen, stellte sie sich himmlisch vor. Zumal ihr davor grauste, in dieser Situation allein zu sein.
Vergiss es, Lily, es ist illusorisch, nachher fasst er das Ganze noch falsch auf, mahnte ihre innere Stimme. Folglich saßen sie eine weitere halbe Stunde einvernehmlich schweigend zusammen, sie mit geschlossenen Augen, während er die Seite umschlug und mit einer neuen Skizze begann. Wie würde er reagieren, wenn sie ihm den Vorschlag machte? Würde er geschockt aufspringen und gehen? Würde er sie ins Schlafzimmer zerren und hemmungslos vernaschen? Oder würde er höflich, aber bestimmt einwenden, dass das kein guter Vorschlag wäre und sie lieber noch eine Tasse Tee trinken sollte?
Sie stand auf, drückte das Rückgrat durch und schlenderte zurück in ihr Schlafzimmer, wo sie sich auf das Bett legte.
William tauchte im Türrahmen auf, und sie blickte stumm an ihm hoch. Seine Hände, die er in den Hosentaschen vergraben hatte, zeichneten sich unter dem Jeansstoff ab– sie waren zu Fäusten geballt.
Sie lag auf der Seite, das Kleid war ihr bis zur Hüfte hochgerutscht. Er betrachtete sie und schluckte. Was, wenn sie ihn bitten würde, sich neben sie zu legen? Grundgütiger, er hätte nicht zu sagen vermocht, wie er reagieren würde. Er wusste bloß, worauf er wahnsinnig Lust hatte…
» Ich gehe dann jetzt«, hob er an.
» William?«
» Ja?«, sagte er sanft. Frag nicht, bitte frag mich nicht.
» Robbies Pass ist auch weg.«
» Wann haben Sie das bemerkt?«
» Heute Nachmittag hab ich die Schreibtischschublade durchsucht, dabei ist es mir aufgefallen. Das heißt doch, dass er definitiv verschwinden wollte und nicht von irgendwelchen Schlägertypen fertiggemacht wurde, oder?«
» Kommen Sie mit nach unten, und schließen Sie die Tür hinter mir ab.«
Bevor er zur Haustür ging, untersuchte er die Schlösser am Hintereingang und am Lagerraum.
» Sie sollten sicherheitshalber schleunigst die Schlösser auswechseln lassen. Sollten sie ihn womöglich doch geschnappt haben, haben sie auch die Schlüssel zu sämtlichen Türen.«
Sie seufzte und sagte: » Hier gibt es bestimmt nichts Wertvolles zu holen.«
Er senkte seinen Blick in ihren. » Und was ist mit Ihnen?«
Sie straffte sich und strahlte unsicher. » Das ist das Netteste, was ich seit Langem höre. Sie dürfen ruhig nochmal wiederkommen, Mr. Isyanov.«
Seine Miene blieb ernst. » Lily, in diesem Business passieren die merkwürdigsten Dinge, glauben Sie mir, ich hab schon eine ganze Menge erlebt und bin einiges gewöhnt. Obwohl es stark den Eindruck macht, dass Robbie getürmt ist, ist das bislang bloß eine Vermutung. Solange wir uns da nicht sicher sein können, müssen wir sämtliche Möglichkeiten einkalkulieren.«
8
Nach einem niederschmetternden Termin bei ihrer Bank schlenderte Lily am späten Vormittag durch die Pitt Street Mall. Auf ihre Frage, wie es möglich sei, dass auf einen Schlag und mit nur einer Unterschrift zehntausend Dollar von ihrem gemeinsamen Konto abgehoben worden seien, klärte man sie auf, dass sie und Robbie sich seinerzeit bei der Kontoeröffnung so entschieden hätten. Sie starrte ihren Kundenberater einen Moment lang fassungslos an. Wie konnte das sein? Zumal sie selbst stets Wert darauf gelegt hatte, dass sie und Robbie auf ihren Abbuchungsformularen gemeinsam unterzeichneten.
Sie schlenderte ziellos durch die shoppenden Menschenmassen,
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