Lass es bloss nicht Liebe sein
Chardonnay aus dem Kühlschrank. » Auch ein Glas?«
» Ist noch ein bisschen früh, was meinst du?«
» Für mich nicht«, versetzte sie und drehte den Korkenzieher in die Flasche. Sie goss sich ein Glas ein und setzte sich wieder. » So, Genosse Isyanov, und was jetzt?«
» Mich würde mal interessieren, wie Robbie dich charakterisieren würde. Erzähl mal ein bisschen was von dir«, sagte er schließlich.
» Von mir?«
» Ja. Du hast schon mal angedeutet, dass es in eurer Beziehung hin und wieder kriselt.«
» Was hat das mit dieser Sache zu tun? Wieso willst du diesen persönlichen Kram wissen? Die Polizei stellt bestimmt nicht solche Fragen!«
» Es könnte uns dabei helfen, ihn zu finden. Und das willst du doch, oder?«, sagte er kühl. » Ich kann dir versichern, wenn jemand spurlos verschwindet, stellt die Polizei verdammt persönliche Fragen.«
Lily trank einen großen Schluck Wein, dann noch einen, und schoss ihm dabei einen mordlustigen Blick zu.
» Was meinte Esther mit angegriffen und dass du einen Spezialisten aufsuchst?«, bohrte er.
Sie trank ihr Glas in einem Zug aus und stellte es auf den Tisch. » Ach, gar nichts. Das darf man nicht zu ernst nehmen. Sie plappert viel, wenn der Tag lang ist.«
» Hast du gesundheitliche Probleme? Diabetes oder so etwas?«
Lily war schwer versucht, sich noch ein Glas Wein zu genehmigen. Am liebsten hätte sie sich die Flasche an den Kopf gesetzt, diese mit durstigen Schlucken geleert und gleich noch eine zweite geöffnet.
» Ich habe eine Konstitution wie ein Pferd«, beteuerte sie. » Esther bildet sich da irgendwas ein.«
Er neigte sich zu ihr. » Nicht schwindeln. Ich krieg alles raus.«
Sie beugte sich zu ihm vor, dass ihr Gesicht dicht vor seinem schwebte.
» Dann mach mal. Und lass die blöde Fragerei. Zumal ich es nervig finde, wie du dauernd in meinem Privatleben Amok läufst. Wie schaut es denn mit deinem Privatleben aus? Hast du überhaupt eins? Eine große Liebe, William, na?« Sie sank zurück auf ihren Stuhl und seufzte, nahm das leere Glas und drehte es zwischen den Fingern.
» Wenn du mehr über Robbie und mich wissen willst, dann komm ins Bett, und ich zeig es dir. Ach, stimmt ja, diese Nummer hatten wir schon. Das hat dir doch bestimmt ein paar Aufschlüsse gegeben, oder?« Sie knallte ihr Glas auf den Tisch und fauchte: » Verschwinde. Ich hab keinen Bock mehr.«
Er erhob sich schweigend, lief die Stufen hinunter, entlang Regalen mit alten, in Leder gebundenen Titeln, vorbei an dem Hundekorb und Lilys chaotischem Schreibtisch. Sie hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloss klickte.
Sie hatte sich sechs Jahre lang mit Robbie gekabbelt und wusste, wie man austeilte und jemandem einen empfindlichen Stich versetzte.
Drei benutzte Kaffeetassen und ein leeres Weinglas standen auf dem Tisch.
Er hatte angedeutet, dass er über sie beide nachgedacht hätte, bevor sie ihm rigoros das Wort abgeschnitten hatte. Was hatte er ihr sagen wollen?
Sie seufzte und räumte den Tisch ab. Jetzt würde sie es vermutlich nie erfahren.
Er war tagelang nicht mehr bei ihr gewesen, und das hatte ihn halb umgebracht. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte: Sie mochte ihn nicht mehr sehen. Es gebe kein » Wir«, hatte sie ihm an den Kopf geschleudert. Wie hatte sie sich noch ausgedrückt? Unkontrollierte Impulshandlung und einmalige Sache.
Immerhin hatte er mit dem Mist angefangen. Jetzt tutete sie ins gleiche Horn.
Er verbrachte den Nachmittag mit seinem neuen Bekannten, dem Privatdetektiv, sie tranken Whiskey und erledigten diverse Telefonate. Am Spätnachmittag bekamen sie einen heißen Tipp in Sachen Robbie. William beschloss, dieser Spur nachzugehen.
Er hatte nicht viel zu packen, weil er in der Regel mit leichtem Gepäck unterwegs war. Er stopfte Klamotten in seine Reisetasche, ließ den Titel von Ted Hughes jedoch draußen. Der konnte dableiben. Die Gedichte gefielen ihm sowieso nicht. Und die Russen waren Melancholie pur. Er zerriss die Kopien, die er sich von einigen Gedichten gemacht hatte, und warf sie in den Papierkorb. Melancholische Gedichte waren das Letzte, was man in einem Hotelzimmer lesen sollte.
Er ließ heißes Wasser in die Badewanne, glitt hinein, lehnte den Kopf gegen den Wannenrand. Schloss die Augen und dachte an die Nacht, in der er Lily unter dem Tisch verführt hatte. An das Licht, das unter der Tür hindurchfiel und silberne Sterne auf ihre Haare zauberte, Haare wie ein blassgoldener Schal. Und an ihren
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